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Es gibt viele Möglichkeiten, sich etwas klarzumachen :-)
Wir versuchen es vor allem mit
Bildern - aber natürlich auch mit
verständlichen Texten.
Der Expressionismus ist ein wichtiges Thema des Deutschunterrichts - und eigentlich auch eine sehr interessante Epoche. In ihr haben nämlich die Schriftsteller auf ganz eigene Weise das rausgehauen, was an Gefühlen in ihnen war.
Auf dieser Seite geht es nun nicht um so bekannte Schriftsteller wie Georg Heym, Georg Trakl, August Stramm oder auch Else Lasker-Schüler. Es geht um einen, der sich mal getraut hat, sich in diese Zeit zurückzuversetzen und es mal auszuprobieren, im Stil dieser Autoren zu schreiben.
Erfreulicherweise hat er sich uns gegenüber zu einem Interview bereit erklärt, das wir im Folgenden abdrucken.
Lars Krüsand
Weltende?
Ich will der letzte sein,
wenn mehr nicht geht.
Ich hätte gerne alle
mitgenommen.
Sie wollten nicht.
Es schien so sicher
In der Macht Gehege
und im Schutz der allzu Vielen
So blick ich denn von oben
dem Marsch zum Abgrund zu,
gewinne etwas Zeit.
Mehr ist es sicher nicht.
Es bleibt mir das Gespräch
mit denen, die vor uns schon waren
und nicht wussten, dass
all das, was sie geschaffen hatten -
und erkämpft, so schnell dahingehn würde,
so achtlos weggeworfen,
als käm’s von selbst einst wieder.
Doch was ist, wenn der Zeiten Strom
nur stets in eine Richtung fließt
und dabei Fakten schafft,
die nicht mehr hintergehbar sind.
Muss ich der Letzte sein?
Vielleicht ist doch noch einer da,
der mich begleitet bis
zum Ende aller Tage.
Ach nein: der Menschheit nur!
Sie hatte ihre Chance.
Die Schöpfung kennt noch andere Orte,
wo das, was wird,
auch das zu schätzen weiß,
was da geworden ist.
Schnell-durchblicken:
Du bist ja der Meinung, dass man als jemand, der einen literarischen Text geschrieben hat, also einen ausgedachten, nicht über seinen Text sprechen muss, das aber wohl darf. Was würdest du uns denn zu diesem Gedicht noch verraten wollen?
Krüsand:
Ich hatte da schon den Zug der Lemminge im Auge, die sich - zumindest denkt man das - alle geschlossen in den Abgrund stürzen. Und meine Vorstellung war immer: Wenn man sie nicht aufhalten kann, dann sollte man sich zumindest einen Ort etwas oberhalb des Tales suchen, durch das alle stürmen. Und das bezieht sich ja auch im Expressionismus auf einen realen Untergang, von Millionen Menschen und auch einer Kultur, in der Diktatoren wie Hitler und Stalin wohl keine Chance gehabt hätten. In Deutschland, Österreich-Ungarn, Russland war vieles nicht in Ordnung - aber weit entfernt von Massenvernichtung.
Jedenfalls machten 1914 zu viele mit, als die sogenannten Eliten der Meinung waren, jetzt müsste mit Waffengewalt die Entscheidung gesucht werden. Stefan Zweig beschreibt ja auf erschütternde Weise als Europäer, wie da 1914 innerhalb kürzester Zeit Freundschaften kaputt gingen.
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Schnell durchblicken:
Was meinst du mit dem Gespräch, das das lyrische Ich dann weiter oben führen will?
Krüsand:
Nun ich finde, dass jede Generation - wie jemand mal so schön gesagt hat - auf den Schultern ihrer Vorgänger steht. Und wenn eine Generation - wie die von 1914 - kollektiv durchdreht, dann kann man sich an die erinnerin, die es in den Zeiten davor anders und vielleicht sogar besser gemacht haben. Das geht natürlich vor allem über Bücher, diese wunderbaren Vermächtnisse von Menschen.
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Schnell-durchblicken: Du hast mir gesagt, dieses Gedicht wolle einen positiven Akzent setzen:
Krüsand: Ja, auch wenn er mehr ein Appell ist als eine reale Hoffnung. Es gibt ja die Sorge, dass die Geschichte sich nicht nur in eine Richtung entwickeln kann. Bis zum Ersten Weltkrieg gab es ja zumindest für die Europäer fast nur Fortschritt - und dann kam die dunkle Zeit des glücklicherweise nur 12 Jahre andauernden Dritten Reiches mit seinen ungeheuren Verbrechen - und als die Völker Osteuropas sich befreit fühlen wollten, fanden sie sich in einer anderen Art von Diktatur wieder. Es hätte mit diesen Systemen auch weitergehen können - man denke an die Schreckensvision von George Orwell, bei der am Ende alle Menschen unterdrückt werden. Glücklicherweise ist es anders gekommen - aber kann es nicht neue Formen der Unterdrückung geben, die dann durch die heutigen Techniken den Menschen kein Schlupfloch mehr lassen.
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Schnell-durchblicken: Wo bleibt denn nun das Positive?
Krüsand:
Nun ja, es ist ein bisschen versteckt. Indem das Gedicht auf die schreckliche Möglichkeit verweist, dass es am Ende einen Orwell-Zustand der Menschheit geben könnte und nur noch die Hoffnung, dass es im Universum irgendwoanders doch besser weiter geht. Da mahnt es eben auch - und ich hoffe, dass diese Mahnung gehört und verstanden wird. Denn es gibt ja genügend Leute - weit über mich hinaus - die vor der Selbstzerstörung warnen - sei es im Bereich des Klimas, der Atmosphäre, dieses Luftmeeres, das wir alle brauchen - oder auch in erneutem Missbrauch von Macht.
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Schnell-durchblicken: Du hast mir gesagt, es ginge nicht nur um diese Warnung.
Krüsand:
Ja, man darf ja nicht vergessen - der Inhalt beschäftigt sich mit der Gefahr des Weltuntergangs, aber ich möchte ja gerade, dass viel mehr Menschen und vor allem auch Schüler zu "Behelfsschriftstellern" werden, es einfach mal wagen, dieses "Spiel des Schreibens" mal auszuprobieren - sich selbst noch eine andere Welt, nämlich eine der Fantasie, zu schaffen.
Die folgende Hör-Version des Gedichtes ist mit Lars Krüsand abgesprochen worden - verständlicherweise wollte er nicht, dass seine Schüler ihn als Autor an der Stimme erkennen können. Wir bitten da um Verständnis.