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Es gibt viele Möglichkeiten, sich etwas klarzumachen :-)



Wir versuchen es vor allem mit Bildern - aber natürlich auch mit verständlichen Texten.



"Der Schimmelreiter": Inhalt, Zitate, Interpretation

Theodor Storm, "Der Schimmelreiter" - Inhalt, wichtige Textstellen und ihre Interpretation

Hier werden wir die wichtigsten Textstellen von Storms Novelle vorstellen und ihre Bedeutung für die Interpretation der Geschichte herausarbeiten.

Sie Seitenangaben beziehen sich auf die Reclam-XL-Ausgabe, die es auch als E-Book gibt.

Zu bekommen ist die zum Beispiel hier.


Ein Anfang mit drei Erzählern

Die Geschichte von Hauke Haien, der zum Schimmelreiter wird, hat einen interessanten Anfang.

Da berichtet nämlich zunächst ein Ich-Erzähler, wie er das bei seiner Urgroßmutter aus einer Zeitschrift kennengelernt hat, was er jetzt berichten will.

Dann geht es los mit der Geschichte - und schon haben wir einen zweiten Erzähler, der wiederum berichtet, diesmal aber, was er selbst erlebt hat, nämlich einen stürmischen Ritt am Deich entlang, der ihn schließlich in ein großes Haus führt.

Auf dem Weg dahin hat er mitten im Sturm eine seltsame Begegnung mit eben diesem geisterhaften Schimmelreiter, der schließlich im Meer verschwindet.

Und dann ist man bei einem dritten Erzähler, einem Schulmeister, also Lehrer, der sich auch in diesem Haus befindet und der nun endlich die eigentliche Geschichte erzählt, die der Geschichte ihren Titel gegeben hat.


Nur ganz kurz: Wieso nennt man diese Geschichte eine "Novelle"?

Ach ja, das ist auch eine gute Gelegenheit, mal kurz das Wort "Novelle" zu erklären. So bezeichnet man nämlich Geschichten, die ziemlich dramatisch sind und häufig ein sogenanntes Dingsymbol haben, also etwas, was für die ganze Geschichte steht. Wir werden noch sehen, wieso dieser "Schimmelreiter" mehr ist als ein Gespenst, sondern für einen Mann steht, der aus kleinsten Verhältnissen kommt, ungeheuer wissbegierig und ideenreich ist, zum Deichgrafen wird, dem Meer Land abgewinnt und schließlich mit seiner Familie in einer Sturmflut umkommt und schließlich zu einer Art Gespenst wird.


Ein Junge, der es wissen will ...

Eine erste interessante Stelle ist die, in der deutlich wird, wie interessiert und zielstrebig sich der Held der Novelle, Hauke Haien, bereits in jungen Jahren präsentiert:

"Der Junge saß meist dabei und sah über seine Fibel oder Bibel weg dem Vater zu, wie er maß und berechnete, und grub sich mit der Hand in seinen blonden Haaren. Und eines Abends frug er den Alten, warum denn das, was er eben hingeschrieben hatte, gerade so sein müsse[256] und nicht anders sein könne, und stellte dann eine eigene Meinung darüber auf. Aber der Vater, der darauf nicht zu antworten wußte, schüttelte den Kopf und sprach: »Das kann ich dir nicht sagen; genug, es ist so, und du selber irrst dich. Willst du mehr wissen, so suche morgen aus der Kiste, die auf unserm Boden steht, ein Buch, einer, der Euklid hieß, hat's geschrieben; das wird's dir sagen!«

– – Der Junge war tags darauf zum Boden gelaufen und hatte auch bald das Buch gefunden; denn viele Bücher gab es überhaupt nicht in dem Hause; aber der Vater lachte, als er es vor ihm auf den Tisch legte. Es war ein holländischer Euklid, und Holländisch, wenngleich es doch halb Deutsch war, verstanden alle beide nicht. »Ja, ja«, sagte er, »das Buch ist noch von meinem Vater, der verstand es; ist denn kein deutscher da?«"


Ein Vater gibt seinem Sohn eine Chance ...

Es gibt viele literarische Texte, in denen gute Ansätzen bei Kindern durch die Eltern, bsd. den Vater, zerstört werden.

Spontan können einem dazu einfallen:

  1. Hesse, "Unterm Rad"
  2. Storm, "Hans und Heinz Kirch"
  3. Ebner-Eschenbach, "Der Vorzugsschüler"
    siehe auch:
    https://www.einfach-gezeigt.de/ebner-eschenbach-vorzugsschueler

Umso positiver sieht das in der Novelle "Der Schimmelreiter" aus. Schauen wir uns die entsprechende Stelle mal an.

Oben sind wir ja schon darauf eingegangen, dass der Vater seinen Sohn angeregt und unterstützt hat, sich mit Mathematik und besonders Geometrie zu beschäftigen.


Um die folgende Stelle zu verstehen, muss man wissen, dass Hauke gerade den Kater einer anderen Frau totgeschlagen hat und sein Vater das finanziell geregelt hat.

Also eigentlich ein Grund zum Ausrasten, stattdessen eine vernünftige Aussprache und dann auch noch Großzügigkeit im Hinblick auf die weitere Entwicklung des Sohnes:

S. 22-24 der Reclam-xl-E-Book-Ausgabe.


  • "Der Alte sagte nichts hierauf; er begann eine Zeitlang wieder auf und ab zu gehen; dann blieb er vor dem Jungen stehn und sah eine Weile wie abwesend auf ihn hin. »Das mit dem Kater hab ich rein gemacht«, sagte er dann; »aber, siehst du, Hauke, die Kate ist hier zu klein; zwei Herren können darauf nicht sitzen – es ist nun Zeit, du mußt dir einen Dienst besorgen
  • »Ja, Vater«, entgegnete Hauke; »hab dergleichen auch gedacht.«
  • »Warum?« frug der Alte.
  • – »Ja, man wird grimmig in sich, wenn man's nicht an einem ordentlichen Stück Arbeit auslassen kann.«
  • »So?« sagte der Alte, »und darum hast du den Angorer totgeschlagen? Das könnte leicht noch schlimmer werden!«
  • – »Er mag wohl recht haben, Vater; aber der Deichgraf hat seinen Kleinknecht fortgejagt; das könnt ich schon verrichten!«
  • Der Alte begann wieder auf und ab zu gehen und spritzte dabei die schwarze Tabaksjauche von sich. »Der Deichgraf ist ein Dummkopf, dumm wie 'ne Saatgans! Er ist nur Deichgraf, weil sein Vater und Großvater es gewesen sind, und wegen seiner neunundzwanzig Fennen. Wenn Martini herankommt und hernach die Deich- und Sielrechnungen abgetan werden müssen, dann füttert er den Schulmeister mit Gansbraten und Met und Weizenkringeln und sitzt dabei und nickt, wenn der mit seiner Feder die Zahlenreihen hinunterläuft, und sagt: ›Ja, ja, Schulmeister, Gott vergönn's Ihm! Was kann Er rechnen?‹ Wenn aber einmal der Schulmeister nicht kann oder auch nicht will, dann muß er selber dran und sitzt und schreibt und streicht wieder aus, und der große dumme Kopf wird ihm rot und heiß, und die Augen quellen wie Glaskugeln, als wollte das bißchen Verstand da hinaus.«
  • Der Junge stand gerade auf vor dem Vater und wunderte sich, was der reden könne; so hatte er's noch nicht von ihm gehört. »Ja, Gott tröst!« sagte er, »dumm ist er wohl; aber seine Tochter Elke, die kann rechnen!«
  • Der Alte sah ihn scharf an. »Ahoi, Hauke«, rief er; »was weißt du von Elke Volkerts?«
  • – »Nichts, Vater; der Schulmeister hat's mir nur erzählt.«
  • Der Alte antwortete nicht darauf; er schob nur bedächtig seinen Tabaksknoten aus einer Backe hinter die andere.
  • »Und du denkst«, sagte er dann, »du wirst dort auch mitrechnen können.«
  • »O ja, Vater, das möcht schon gehen«, erwiderte der Sohn, und ein ernstes Zucken lief um seinen Mund.
  • Der Alte schüttelte den Kopf: »Nun, aber meinethalb; versuch einmal dein Glück!«"



29-59: Die Entwicklung der Liebesbeziehung Hauke und Elke

  • 29: Hauke wird Kleinknecht beim Deichgrafen und von dessen Großknecht Ole Peters ziemlich gepeinigt.
  • Elke, die Tochter des Deichgrafen, versucht das zu mildern.
  • "Man mag wohl fragen, was mitunter ganz fremde Menschen aneinander bindet; vielleicht – sie waren beide geborene Rechner, und das Mädchen konnte ihren Kameraden in der groben Arbeit nicht verderben sehen." (29)
  • Hauke bringt den alten Deichgrafen dann mit Beobachtungen und Vorschlägen so auf Trab, dass er vom Oberdeichgrafen sehr gelobt wird.
  • Elke wiederum schreibt das Hauke Haien zu: (36ff)
  • »Der Herr Oberdeichgraf hat den Wirt gelobt!«
  • »Den Wirt? Was tut das mir?«
  • »Nein, ich mein, den Deichgrafen hat er gelobt!«
  • Ein dunkles Rot flog über das Gesicht des jungen Menschen. »Ich weiß wohl«, sagte er, »wohin du damit segeln willst!«
  • »Werd nur nicht rot, Hauke, du warst es ja doch eigentlich, den der Oberdeichgraf lobte!«
  • Hauke sah sie mit halbem Lächeln an. »Auch du doch, Elke!« sagte er.
  • Aber sie schüttelte den Kopf: »Nein, Hauke; als ich allein der Helfer war, da wurden wir nicht gelobt. Ich kann ja auch nur rechnen; du aber siehst draußen alles, was der Deichgraf doch wohl selber sehen sollte; du hast mich ausgestochen!«
  • »Ich hab das nicht gewollt, dich am mindsten«, sagte Hauke zaghaft, und er stieß den Kopf einer Kuh zur Seite. »Komm, Rotbunt, friss mir nicht die Furke auf, du sollst ja alles haben!«
  • »Denk nur nicht, dass mir's leid tut, Hauke«, sagte nach kurzem Sinnen das Mädchen; »das ist ja Mannessache!«
  • Da streckte Hauke ihr den Arm entgegen: »Elke, gib mir die Hand darauf!«
  • Ein tiefes Rot schoß unter die dunkeln Brauen des Mädchens. »Warum? Ich lüg ja nicht!« rief sie.
  • Hauke wollte antworten; aber sie war schon zum Stall hinaus, und er stand mit seiner Furke in der Hand und hörte nur, wie draußen die Enten und Hühner um sie schnatterten und krähten.
  • Man sieht hier deutlich, wie sich zwei junge Menschen annähern, Vertrauen zueinander fassen, woraus dann später mehr werden kann.
  • Ab S. 37 geht die Geschichte dann im Rahmen eines Eisboseln-Winterfestes weiter. Elke sorgt dafür, dass der Großknecht Hauke nicht ausschließen kann und sie freut sich mit ihm, als Hauke schließlich den entscheidenden Wurf zum Sieg beiträgt. Interessant, dass auch andere der Meinung sind, Hauke sei eigentlich schon der echte Deichgraf. (39)
  • Was den anschließenden Tanz angeht, so nimmt Elke Rücksicht auf Hauke:
    "Elke tanzte an diesem Abend nicht mehr, und als beide dann nach Hause gingen, hatten sie sich Hand in Hand gefaßt; aus der Himmelshöhe funkelten die Sterne über der schweigenden Marsch; ein leichter Ostwind wehte und brachte strenge Kälte; die beiden aber gingen, ohne viel Tücher und Umhang, dahin, als sei es plötzlich Frühling worden."
  • Hauke besorgt dann schon mal einen Goldring, kann ihn aber zunächst noch nicht unterbringen.
  • Seine Chancen steigen aber, als sein Vater ihm kurz vor seinem Tod mitteilt, dass er einiges an Land dazugewonnen habe.
  • Vorerste aber sieht es so aus, als käme Ole Peters weiter:
    "Eine Reihe von Gesichtern ging vor seinem innern Blick vorüber, und sie sahen ihn alle mit bösen Augen an; da faßte ihn ein Groll gegen diese Menschen: er streckte die Arme aus, als griffe er nach ihnen, denn sie wollten ihn vom Amte drängen, zu dem von allen nur er berufen war. Und die Gedanken ließen ihn nicht; sie waren immer wieder da, und so wuchsen in seinem jungen Herzen neben der Ehrenhaftigkeit und Liebe auch die Ehrsucht und der Haß. Aber diese beiden verschloß er tief in seinem Innern; selbst Elke ahnte nichts davon." (57)
  • Als es dann auch mit Elkes Vater langsam zu Ende geht, gibt Hauke ihr doch noch den Ring, auch wenn sie ihn erst mal nur heimlich tragen will.

59ff: Elke setzt sich im richtigen Moment für Hauke ein ...

  • Als Elkes Vater schließlich stirbt und damit das Amt des Deichgrafen frei wird, ist es Elke, die im entscheidenden Momente den Oberdeichgrafen auf den Gedanken bringt, Hauke für diese Stelle vorzusehen. (63/64).
  • Entscheidend ist neben seiner Fähigkeit dazu, dass Elke erklärt, Hauke heiraten zu wollen und ihm dafür schon mal ihren ererbten Besitz zu übertragen (65).
  • Als der Oberdeichgraf dann erklärt, "dass ein Deichgraf von solch junger Jungfer gemacht wurde, das ist das Wunderbare an der Sache!" antwortet Elke selbstbewusst: "einem rechten Manne wird auch die Frau wohl helfen dürfen!" Dann ging sie in den anstoßenden Pesel und legte schweigend ihre Hand in Hauke Haiens."

Ein böses Wort treibt Hauke Haien um ...

"Ole Peters lachte. »Ja, Marten Fedders, das ist nun so bei uns, und davon ist nichts abzukratzen; der alte wurde Deichgraf von seines Vaters, der neue von seines Weibes wegen.« Das Gelächter, das jetzt um den Tisch lief, zeigte, welchen Beifall das geprägte Wort gefunden hatte.

Aber es war an öffentlicher Wirtstafel gesprochen worden, es blieb nicht da, es lief bald um im Geest- und unten in dem Marschdorf; so kam es auch an Hauke. Und wieder ging vor seinem inneren Auge die Reihe übelwollender Gesichter vorüber, und noch höhnischer, als es gewesen war, hörte er das Gelächter an dem Wirtshaustische. »Hunde!« schrie er, und seine Augen sahen grimmig zur Seite, als wolle er sie peitschen lassen.

Da legte Elke ihre Hand auf seinen Arm: »Laß sie; die wären alle gern, was du bist!«

– »Das ist es eben!« entgegnete er grollend.

»Und«, fuhr sie fort, »hat denn Ole Peters sich nicht selber eingefreit?«

»Das hat er, Elke; aber was er mit Vollina freite, das reichte nicht zum Deichgrafen!«

– »Sag lieber: er reichte nicht dazu!« Und Elke drehte ihren Mann, so daß er sich im Spiegel sehen mußte, denn sie standen zwischen den Fenstern in ihrem Zimmer. »Da steht der Deichgraf!« sagte sie; »nun sieh ihn an; nur wer ein Amt regieren kann, der hat es!«

»Du hast nicht unrecht«, entgegnete er sinnend, »und doch... Nun, Elke; ich muß zur Osterschleuse, die Türen schließen wieder nicht!«

Sie drückte ihm die Hand: »Komm, sieh mich erst einmal an! Was hast du, deine Augen sehen so ins Weite?«

»Nichts, Elke, du hast ja recht.«"



Hauke Haien hat einen großen Plan ...

"Kaum daß er es selber wußte, befand er sich oben auf dem Haffdeich, schon eine weite Strecke südwärts nach der Stadt zu; das Dorf, das nach dieser Seite hinauslag, war ihm zur Linken längst verschwunden; noch immer schritt er weiter, seine Augen unablässig nach der Seeseite auf das breite Vorland gerichtet; wäre jemand neben ihm gegangen, er hätte es sehen müssen, welche eindringliche Geistesarbeit hinter diesen Augen vorging. Endlich blieb er stehen: das Vorland schwand hier zu einem schmalen Streifen an dem Deich zusammen. ›Es muß gehen!‹ sprach er bei sich selbst. ›Sieben Jahr im Amt; sie sollen nicht mehr sagen, daß ich nur Deichgraf bin von meines Weibes wegen!‹

Noch immer stand er, und seine Blicke schweiften scharf und bedächtig nach allen Seiten über das grüne Vorland; dann ging er zurück, bis wo auch hier ein schmaler Streifen grünen Weidelands die vor ihm liegende breite Landfläche ablöste. Hart an dem Deiche aber schoß ein starker Meeresstrom durch diese, der fast das ganze Vorland von dem Festlande trennte und zu einer Hallig machte; eine rohe Holzbrücke führte nach dort hinüber, damit man mit Vieh und Heu- und Getreidewagen hinüber und wieder zurück gelangen könne. Jetzt war es Ebbzeit, und die goldene Septembersonne glitzerte auf dem etwa hundert Schritte breiten Schlickstreifen und auf dem tiefen Priel in seiner Mitte, durch den auch jetzt das Meer noch seine Wasser trieb. ›Das läßt sich dämmen!‹ sprach Hauke bei sich selber, nachdem er diesem Spiele eine Zeitlang zugesehen; dann blickte er auf, und von dem Deiche, auf dem er stand, über den Priel hinweg, zog er in Gedanken eine Linie längs dem Rande des abgetrennten Landes, nach Süden herum und ostwärts wiederum zurück über die dortige Fortsetzung des Prieles und an den Deich heran. Die Linie aber, welche er unsichtbar gezogen hatte, war ein neuer Deich, neu auch in der Konstruktion seines Profiles, welches bis jetzt nur noch in seinem Kopf vorhanden war.

›Das gäbe einen Koog von zirka tausend Demat‹, sprach er lächelnd zu sich selber; ›nicht groß just; aber...‹

Eine andere Kalkulation überkam ihn: das Vorland gehörte hier der Gemeinde, ihren einzelnen Mitgliedern eine Zahl von Anteilen, je nach der Größe ihres Besitzes im Gemeindebezirk oder nach sonst zu Recht bestehender Erwerbung; er begann zusammenzuzählen, wieviel Anteile er von seinem, wie viele er von Elkes Vater überkommen und was an solchen er während seiner Ehe schon selbst gekauft hatte, teils in dem dunklen Gefühle eines künftigen Vorteils, teils bei Vermehrung seiner Schafzucht. Es war schon eine ansehnliche Menge; denn auch von Ole Peters hatte er dessen sämtliche Teile angekauft, da es diesem zum Verdruß geschlagen war, als bei einer teilweisen Überströmung ihm sein bester Schafbock ertrunken war. Aber das war ein seltsamer Unfall gewesen, denn so weit Haukes Gedächtnis reichte, waren selbst bei hohen Fluten dort nur die Ränder überströmt worden. Welch treffliches Weide- und Kornland mußte es geben und von welchem Werte, wenn das alles von seinem neuen Deich umgeben war! Wie ein Rausch stieg es ihm ins Gehirn; aber er preßte die Nägel in seine Handflächen und zwang seine Augen, klar und nüchtern zu sehen, was dort vor ihm lag: eine große deichlose Fläche, wer wußt es, welchen Stürmen und Fluten schon in den nächsten Jahren preisgegeben, an deren äußerstem Rande jetzt ein Trupp von schmutzigen Schafen langsam grasend entlangwanderte; dazu für ihn ein Haufen Arbeit, Kampf und Ärger! Trotz alledem, als er vom Deich hinab- und den Fußsteig über die Fennen auf seine Werfte zuging, ihm war's, als brächte er einen großen Schatz mit sich nach Hause.

"


71-91: Der Kampf um das Projekt eines neuen Deiches und die Entstehung einer Gespenstergeschichte

  • Als Hauke seiner Frau Elke von dem Projekt eines neuen Deiches erzählt, ist ihr sofort klar: "Das ist ein Werk auf Leben und Tod und fast alle werden dir entgegen sein" (71).
  • Aber Elke weiß auch, was Hauke wirklich umtreibt:
  • Neben dem wirklich notwendigen Schutz vor einer erneuten Sturmflut sagt er seiner Frau ganz deutlich:
  • "Du sollst mich wenigstens nicht umsonst zum Deichgrafen gemacht haben, Elke; ich will Ihnen zeigen, dass ich einer bin." (72)
  • Tatsächlich gelingt es Hauke, alle Widerstände zu überwinden.
  • Allerdings geht der Schulmeister als Erzähler jetzt auch auf das "Geschwätz des ganzen Marschdorfes" (75) ein.
  • Denn ein Schimmel, den Hauke von einem seltsamen Mann billig bekommt, wird mit einem gespenstischen Gerippe auf einer vorgelagerten Insel verbunden.
  • Seltsam ist auch hier wieder, dass der Schulmeister sogar weiß, dass Hauke selbst zu seiner Frau gesagt hat, dass der Verkäufer des Schimmels "wie ein Teufel hinter mir darein" (84 gelacht hat.
  • Wie wir noch sehen werden, sind die Hauke und seine Frau am Ende der Geschichte tot und werden wohl kaum einem anderen etwas erzählt haben, was nur gegen sie verwendet werden kann.
  • Auf jeden Fall wird klar, dass dieses Pferd völlig "eins mit seinem Reiter" (85) erscheint und Hauke Haien bis in den Tod begleiten wird.


71-91: Fortschritt beim Deichbau - weiterer Widerstand - "Trübsal" beim Anblick des neugeborenen Kindes

  • Hauke gelingt es, seinen Plan bei den Leuten durchzusetzen, auch wenn er dabei selbst Zugeständnisse machen muss.
  • Dazu muss er sich mit dem Vorwurf von Ole Peters auseinandersetzen, er verfolge nur eigene Vorteile.
  • Anregung: Wo erlebt man schon als junger Mensch / Schüler Situationen, in denen jemand, der Gutes für die Gemeinschaft will, schlecht gemacht wird.
  • Im 9. Ehejahr wird dann Hauke und seiner Frau Elke noch ein Kind geboren, das aber geistig zurückgeblieben ist, was vor allem Elke belastet.
  • Sie hat auch Angstträume, in denen sie angesichts von Wasserfluten im Hinblick auf Hauke glaubt: "Ich seh ihn nimmer wieder."
  • Dazu kommt, dass Hauke Vorwürfe wegen eines recht unchristlichen Gebetes gemacht werden, das er angesichts der schweren Geburt des Kindes und der Krankheit der Mutter ausspricht. Man verbindet das mit dem unheimlichen Schimmel, den er reitet.
  • Hauke und seine Frau bleiben sich aber "treu; nicht nur, weil wir uns brauchen." (101)
  • Deutlich ist der Erzähler, was das soziale Umfeld des Deichgrafen angeht:
    "Das wäre soweit gut gewesen; aber es war doch trotz aller lebendigen Arbeit eine Einsamkeit um ihn, und in seinem Herzen nistete sich ein Trotz und abgeschlossenes Wesen gegen andere Menschen ein; nur gegen sein Weib blieb er allezeit der gleiche, und an der Wiege seines Kindes lag er abends und morgens auf den Knien, als sei dort die Stätte seines ewigen Heils. Gegen Gesinde und Arbeiter aber wurde er strenger; die Ungeschickten und Fahrlässigen, die er früher durch ruhigen Tadel zurechtgewiesen hatte, wurden jetzt durch hartes Anfahren aufgeschreckt, und Elke ging mitunter leise bessern." (101)

102ff:  Rettung eines Hundes, die Fertigstellung, viel Lob und ein bisschen Größenwahn bei Hauke Haien

  • Im Frühling beginnen wieder die Deicharbeiten, der Deichgraf hat jetzt mehr Probleme, weil nach dem Tod seines Vorgängers Ole Peters die wichtigste Stelle nach dem Deichgrafen eingenommen hat und das für vielerlei Kritik nutzt.
  • Insgesamt aber stellt der Erzähler fest: "Der Herrgott schien seine Gunst dem neuen Werke zuzuwenden" (102)
  • Auch privat stellt sich so etwas wie Familienglück ein, Hauke merkt allerdings nicht, wie seine Frau darunter leidet, dass das gemeinsame Kind im Vergleich zu anderen deutlich zurückgeblieben ist.
  • Im Oktober geht es dann darum, die gefährliche Stelle zwischen dem alten und dem neuen Deich zuschließen. Dabei kommt es zum Konflikt mit den Bauarbeitern, weil Hauke einen kleinen Hund rettet, den sie in den Fluten opfern wollten, Weil - wie einer von ihnen erklärt - "soll euer Deich sich halten, so muss was Lebiges hinein." (106)
  • Als Hauke sich dazu hinreißen lässt zu entgegnen: "Schweig du mit deinen Heidenlehren [...] es stopfte besser, wenn man dich hineinwürfe", kommt es fast zu einem Aufstand, den ein Freund des Deichgrafen nur mit Mühe ausbremsen kann.
  • Nach der Fertigstellung des Abschlusses kommt die Obrigkeit zur Besichtigung und Hauke bekommt viel Lob für seine Arbeit. Am meisten freut Hauke sich darüber, dass neben dem offiziellen Namen jetzt viel vom "Hauke-Haien-Koog" gesprochen wird. Ein bisschen Größenwahn ist auch dabei: "Ihm war, er stünde inmitten aller Friesen; er überragte sie um Kopfeshöhe, und seine Blicke flogen scharf und mitleidig über sie hin." (110)

118ff:  Auf dem Weg in die Katastrophe

  • Ein interessantes Beispiel für auktoriale Erzähltechnik (126)
    Hauke ist gegenüber seiner Frau nicht ehrlich - und der Erzähler erklärt, warum.
  • "Eine unruhige Nacht folgte diesem Tage; Hauke wälzte sich schlaflos in seinen Kissen. »Was ist dir?« frug ihn Elke, welche die Sorge um ihren Mann wach hielt; »drückt dich etwas, so sprich es von dir; wir haben's ja immer so gehalten!«
  • »Es hat nichts auf sich, Elke!« erwiderte er, »am Deiche, an den Schleusen ist was zu reparieren; du weißt, daß ich das allzeit nachts in mir zu verarbeiten habe.« Weiter sagte er nichts; er wollte sich die Freiheit seines Handelns vorbehalten; ihm unbewußt, war die klare Einsicht und der kräftige Geist seines Weibes ihm in seiner augenblicklichen Schwäche ein Hindernis, dem er unwillkürlich auswich."
  • Es folgen weitere Stellen, so dass dieser Textbereich für eine Analyse sehr interessant sein könnte.

110-118:  Zunehmendes Familienglück im Hause Hauke Haiens

  • In der Novelle gibt es jetzt einen Zeitsprung von drei Jahren. Der neue Deich hat sich bewährt und von Hauke Haien heißt es: "Fortan lebte er einsam seinen Pflichten als Hofwirt wie als Deichgraf […] unter seinem Dach war Frieden, den auch das stille Kind nicht störte“ sein „liebes, einfältiges Gesichtlein trug fast immer den Ausdruck der Zufriedenheit."
  • Zur Hausgemeinschaft kommt die inzwischen 80-jährige Trien' Jans hinzu, der Hauke vor langer Zeit den Kater tot geschlagen hat. Sie soll jetzt ihren Lebensabend auf seinem Hof verbringen und seine Tochter Wienke hält engen Kontakt zu ihr. Der Kommentar der alten Frau zu der Behinderung der Tochter: "Du strafst ihn, Gott der Herr! Ja, ja, du strafst ihn!" (113)
  • Schließlich kommt es doch noch zu einer Aussprache zwischen den Eheleuten, in der Hauke klarmacht, dass ihm die Situation des Kindes völlig klar gewesen ist und für ihn dennoch gilt: "Ich hab sie lieb, und sie schlägt ihre Ärmchen um mich und drückt sich fest an meine Brust; um alle Schätze wollte ich das nicht missen." Und die Ängste und Sorgen seiner Frau schafft er weg mit dem klaren Satz: "Lass dich nicht irren, dein Kind, wie du es tust, zu lieben; sei sicher, das versteht es!"  (118)

118-143:  Der Weg in die Katastrophe

  • Die alte Trien' Jans erzählt dem Kind Schauergeschichten, was Hauke dadurch ausgleichen will, dass er mit ihr ans Wasser reitet. Aber auch da wirken die Geschichten noch nach und Wienke hält den Atem an, "als sähe sie erschrocken in einen Abgrund" (121).
  •  Zum Problem wird es, als Hauke Haien von einem Marschfieber fast auf den Tod erkrankt. Er erholt sich zwar wieder, ist aber nicht mehr der alte. "Die Mattigkeit des Körpers lag auch auf seinem Geist, und Elke sah mit Besorgnis, wie er allzeit leicht zufrieden war." (122)
  • Als er nach einem stärkeren Sturm Schäden am alten Deich feststellt, erkennt er, dass es im Fall des Falles nur eine einzige Lösung geben könnte: "Der Hauke-Haien-Koog müsste preisgegeben und der neue Deich durchstochen werden." (124).
  • In dieser Situation ist der Deichgraf froh, als die anderen für den Deichbau mit Verantwortlichen eine Lösung favorisieren, die die Schäden nur an der Oberfläche beseitigt.
  • Schließlich kommt es zur Katastrophe, als ein besonders heftiger Sturm den alten Deich brechen lässt. Als Hauke Haien mit ansehen muss, wie seine Frau und sein Kind in den Fluten umkommen, stürzt er sich selbst mit seinem Schimmel in den Bruch.
  • Das Motiv dafür ist seine Erkenntnis: "Er allein hatte die Schwäche des alten Deichs erkannt [...] Herr Gott, ja ich bekenne es, rief er plötzlich laut in den Sturm hinaus, ich habe meines Amtes schlecht gewartet." (140)

143ff:  Der Schluss der Novelle

  • Am Ende behauptet der Schulmeister noch einmal, er habe die Geschichte so erzählt, "wie ich sie nach bestem Wissen nur berichten konnte" (144) .
  • Er verweist dann zwar darauf, dass "die Wirtschafterin unseres Deichgrafen sie ganz anders erzählt hätte: Denn auch das weiß man zu berichten: jenes weiße Pferdsgerippe ist nach der Flut wiederum, wie vormals, im Mondschein auf Jevershallig zu sehen gewesen. Das ganze Dorf will es gesehen haben." (144)
  • Das ist für die Leute der Beweis, dass dieser Schimmel ein Gespensterwesen gewesen ist, der den ihnen ebenso unheimlichen Deichgrafen in den Untergang begleitet hat.
  • Kritisch stellt der Schulmeister demgegenüber fest: "Einen tüchtigen Kerl, nur weil er uns und Kopfeslänge überwachsen war, zum Spuk und Nachtgespenst zu machen – das geht noch alle Tage." (144)
  • Der aktuelle Deichgraf zählt diesen Schulmeister zu den Aufklärern, als Leser bleibt man aber doch überrascht, wie wenig er auf Quellen eingeht. Stattdessen erzählt er die Geschichte eigentlich wie ein ganz normaler Erzähler, der natürlich alles wissen kann.

Wer noch mehr möchte



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