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Es gibt viele Möglichkeiten, sich etwas klarzumachen :-)



Wir versuchen es vor allem mit Bildern - aber natürlich auch mit verständlichen Texten.



"Schimmelreiter" richtig erzählt?

Storms "Schimmelreiter" richtig erzählt?

  • Wir haben nach langer Zeit mal wieder die Novelle "Der Schimmelreiter" von Theodor Storm gelesen - und sie war immer noch spannend mit wunderbaren Stellen. Die schönsten stellen wir auf einer eigenen Seite zusammen:
    https://www.einfach-gezeigt.de/storm-schimmelreiter-inhalt-zitate-interpretation
  • Aber wir hatten beim Wieder-Lesen auch das Gefühl, da stimmt was nicht mit den Erzählern.
  • Storms Einfall mit den drei Erzählern nacheinander wird ja überall gelobt - meistens kommen dann aber keine Erklärungen mehr, warum das so toll ist.
  • Das mag schon so sein, allerdings funktioniert es mit dem dritten Erzähler, dem Schulmeister eigentlich nicht. Denn wenn man sich mal überlegt, wie jemand etwas wiedergibt, was er aus verschiedenen Quellen zusammengetragen hat. Das klingt auf jeden Fall nicht wie eine normale Geschichte, bei der man Gespräche zwischen zwei Leuten so wiedergibt, als wäre man dabei gewesen. Bestimmte Dinge sind mit Sicherheit keinem anderen erzählt worden - es taucht auch keine einzige Quelle auf, auf die er sich bezieht.
  • Und auch als ausgedachte Erzählung - so erzählt man nicht mündlich, auch nicht zu der in der Novelle angegebenen Zeit. Da werden Zwischenfragen gestellt, der Erzähler stellt sich auch mal selbst in Frage.
  • Im "Schimmelreiter" aber gibt es nur wenige Stellen, an denen man das Gefühl hat, da ist Storm jetzt der Gedanke gekommen, er müsste mal kurz eine Unterbrechung machen.
  • So sind wir auf die Idee gekommen, die Geschichte der Novelle mal so zu erzählen, wie sie wirklich zwischen zwei Leuten erzählt werden könnte.


Den "Schimmelreiter" in Gruppen neu erzählen

Mögliche Aufgabenstellung:

  • Der Text der Novelle ist gelesen worden.
  • Die Erzählsituation ist klar.
  • Dann teilt man die Klasse auf und jeweils zwei oder drei Leute übernehmen einen bestimmten Part, den sie dann erzählen.
  • Am besten wird die erste Teilgeschichte als Demo-Variante vorgegeben, damit alle schon mal eine Hilfe haben.

Liste der Erzählschritte

  1. Einleitung: Aufbau einer Erzählsituation
  2. Haukes Kindheit - sein Interesse an Mathematik
  3. Hauke als Kleinknecht beim Deichgrafen
  4. Erfolg beim Eisboseln
  5. Hauke wird mit Hilfe von Elke neuer Deichgraf
  6. Haukes Arbeit als Deichgraf
  7. Der Kauf des Schimmels
  8. Die Idee des neuen Deiches
  9. Der Bau des neuen Deiches
  10. Die Geburt eines behinderten Kindes
  11. Die Katastrophe und der Tod der Deichgrafenfamilie
  12. Abschluss des Gesprächs

Einführung des Schulmeisters als Erzähler und Beginn der Erzählung

Wir präsentieren hier einen Auszug aus dem Text der Novelle (S. 8/9 der Reclam-Ausgabe) und kommentieren die entscheidenden Stellen in kursiver blauer Schrift:

  • Abseits hinter dem Ofen, ein wenig gebückt, saß ein kleiner hagerer Mann in einem abgeschabten schwarzen Röcklein; die eine Schulter schien ein wenig ausgewachsen. Er hatte mit keinem Worte an der Unterhaltung der andern teilgenommen, aber seine bei dem spärlichen grauen Haupthaar noch immer mit dunklen Wimpern besäumten Augen zeigten deutlich, daß er nicht zum Schlaf hier sitze.
  • Gegen diesen streckte der Deichgraf seine Hand. »Unser Schulmeister«, sagte er mit erhobener Stimme, »wird von uns hier Ihnen das am besten erzählen können; freilich nur in seiner Weise und nicht so richtig, wie zu Haus meine alte Wirtschafterin Antje Vollmers es beschaffen würde.«
  • »Ihr scherzet, Deichgraf!« kam die etwas kränkliche Stimme des Schulmeisters hinter dem Ofen hervor, »daß Ihr mir Euern dummen Drachen wollt zur Seite stellen!«
  • »Ja, ja, Schulmeister!« erwiderte der andere, »aber bei den Drachen sollen derlei Geschichten am besten in Verwahrung sein!«
  • »Freilich!« sagte der kleine Herr; »wir sind hierin nicht ganz derselben Meinung«; und ein überlegenes Lächeln glitt über das feine Gesicht.
  • »Sie sehen wohl«, raunte der Deichgraf mir ins Ohr; »er ist immer noch ein wenig hochmütig er hat in seiner Jugend einmal Theologie studiert und ist nur einer verfehlten Brautschaft wegen hier in seiner Heimat als Schulmeister behangen geblieben.«
  • Dieser war inzwischen aus seiner Ofenecke hervorgekommen und hatte sich neben mir an den langen Tisch gesetzt. »Erzählt, erzählt nur, Schulmeister«, riefen ein paar der Jüngeren aus der Gesellschaft.
  • »Nun freilich«, sagte der Alte, sich zu mir wendend, »will ich gern zu Willen sein; aber es ist viel Aberglaube dazwischen und eine Kunst, es ohne diesen zu erzählen.«
  • »Ich muß Euch bitten, den nicht auszulassen«, erwiderte ich; »traut mir nur zu, dass ich schon selbst die Spreu vom Weizen sondern werde!
  • Der Alte sah mich mit verständnisvollem Lächeln an.
  • ---
    Hier endet die Erzählung des 2. Erzählers, der als Reisender dem Schimmelreiterspuk auf dem Deich glaubt begegnet zu sein.
    Bis hierhin eine ganz normale Erzählung.

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  • »Nun also!« sagte er. »In der Mitte des vorigen Jahrhunderts, oder vielmehr, um genauer zu bestimmen, vor und nach derselben, gab es hier einen Deichgrafen, der von Deich- und Sielsachen mehr verstand, als Bauern und Hofbesitzer sonst zu verstehen pflegen; aber es reichte doch wohl kaum, denn was die studierten Fachleute darüber niedergeschrieben, davon hatte er wenig gelesen; sein Wissen hatte er sich, wenn auch von Kindesbeinen an, nur selber ausgesonnen.
  • ---
    Hier beginnt die Erzählung des Schulmeisters als des 3. Erzählers in der Novelle.
    Interessant ist, dass er in keiner Weise darauf verweist, woher er die Kenntnisse hat. Aber solange es das ist, was jeder wissen kann, der sich mit der Geschichte vertraut gemacht hat, ist das sicher in Ordnung.

    ---
  • Ihr hörtet wohl schon, Herr, die Friesen rechnen gut, und habet auch wohl schon über unsern Hans Mommsen von Fahretoft reden hören, der ein Bauer war und doch Bussolen und Seeuhren, Teleskopen und Orgeln machen konnte.
  • ---
    Hier noch ein überaus sinnvoller Einschub, denn es handelt sich um eine eindeutig dialogische Situation des Erzählens, in der man den Haupt-Zuhörer auch sprachlich in den Blick nimmt.
    ---
  • Nun, ein Stück von solch einem Manne war auch der Vater des nachherigen Deichgrafen gewesen; freilich wohl nur ein kleines. Er hatte ein paar Fennen, wo er Raps und Bohnen baute, auch eine Kuh graste, ging unterweilen im Herbst und Frühjahr auch aufs Landmessen und saß im Winter, wenn der Nordwest von draußen kam und an seinen Läden rüttelte, zu ritzen und zu prickeln, in seiner Stube. Der Junge saß meist dabei und sah über seine Fibel oder Bibel weg dem Vater zu, wie er maß und berechnete, und grub sich mit der Hand in seinen blonden Haaren.
  • ---
    Bis hierin wieder ein ganz normaler, problemlos nachvollziehbarer Erzählerbericht. Nur: Was ist das Folgende? Woher weiß dieser Schulmeister, was da genau gesprochen worden ist. Was macht er hier eigentlich? Er tut etwas, was ein souveräner, unabhängiger Erzähler tun kann, aber nicht die Figur einer Erzählung mit einer eingeschränkten Perspektive und einem unklaren Quellenhorizont.
    ---
  • Und eines Abends frug er den Alten, warum denn das, was er eben hingeschrieben hatte, gerade so sein müsse und nicht anders sein könne, und stellte dann eine eigene Meinung darüber auf. Aber der Vater, der darauf nicht zu antworten wußte, schüttelte den Kopf und sprach: »Das kann ich dir nicht sagen; genug, es ist so, und du selber irrst dich. Willst du mehr wissen, so suche morgen aus der Kiste, die auf unserm Boden steht, ein Buch, einer, der Euklid hieß, hat's geschrieben; das wird's dir sagen!«


Versuch, eine Erzählvariante zu präsentieren, die der Erzählrealität besser entsprich:



  • Eines Abends muss der Junge wohl seinen Vater gefragt haben, warum das, was er da hingeschrieben hatte, genau so sein musste und ob es nicht auch anders ginge.
  • Der Vater muss da wohl keine Antwort drauf gehabt haben oder die Fragerei nervte ihn. Jedenfalls hat er seinem Sohn ein Buch des griechischen Mathematikers Euklid gegeben - auf niederländisch - man muss sich das mal vorstellen. 
  • Aber der Junge hat sich da eingearbeitet und eine Menge da raus gezogen.

Man merkt hier wohl deutlich den Unterschied zwischen dialogischem, situationsgerechten Erzählen und dem plötzlichen Sprung in einen ganz normalen Novellenerzähler, den es bei Storm gibt.

Alternative zu dem Beginn des Schulmeister-Teils

Im Folgenden haben wir noch etwas früher angesetzt und es selbst mal ausprobiert.

Bei uns sähe die Einleitung dann zum Beispiel so aus:

  • R(eisender): Sagen Sie mal, was hat es denn nun mit diesem Schimmelreiter auf sich?
  • S(chulmeister): Tja, das ist eine lange Geschichte, aber wir haben ja Zeit. Wenn Sie es also wirklich wissen wollen ...
  • R: Aber klar doch, immerhin ist mir der Typ ja unterwegs begegnet.
  • S:
  • Also - dieser spätere Schimmelreiter stammte aus relativ einfachen Verhältnissen hier. Sein Vater hatte zwar einiges an Land, aber nie so viel, dass es gereicht hätte, um Deichgraf zu werden - und das wurde sein Sohn später.
  • Was sein Vater aber im Übermaß hatte, das waren mathematische Kenntnisse. Hauke Haien, so hieß der Sohn hat es später mal erzählt, von daher weiß man es, dieser Junge saß abends mit seinem Vater zusammen und der war mit Berechnungen beschäftigt.
  • Und der Junge schaut ständig zu ihm rüber und fragt ihn irgendwann, was er da eigentlich mache. Sein Vater merkt dann, dass er soviel Interesse und auch Verständnis für Mathematik und besonders Geometrie hat, dass er ihn auf den Euklid, einen berühmten altgriechischen Mathematiker aufmerksam macht. Er hat sogar ein entsprechendes Buch, allerdings in Niederländisch, aber das ist kein Problem für den Jungen, der besorgt sich eine entsprechende Grammatik und findet sich rein. Das Friesische ist dem Niederländischen ja auch ziemlich verwandt.
  • Und jetzt kommt der erste Hammer: Irgendwann überrascht Hauke seinen Vater mit der Feststellung, die Deiche seien falsch angelegt. Sie müssten viel langsamer ansteigen, an der Seeseite natürlich, damit sich die Wellen gewissermaßen austoben können.
  • Tja - und genau einen solchen Deich hat er später bauen lassen.
  • Aber eins nach dem anderen - zunächst musste er natürlich Deichgraf werden - und das war natürlich gar nicht so einfach.
  • Er wurde dann erst mal Kleinkecht beim alten Deichgrafen, half dem bei den Berechnungen, dem fiel das nämlich sehr schwer, er war mehr an gutem Essen interessiert.
  • Nun ja - und dabei lernte der gute Hauken auch Elke, die Tochter des Deichgrafen kennen. Aber das hieß natürlich erst mal nichts. Auf jeden Fall waren sich die beiden wohl von Anfang an sympathisch. Aber richtig laufen konnte da natürlich nichts - dafür war der Standesunterschied zu groß. Der wird ja hier immer noch in der Größe des Landes bemessen, das man bewirtschaften kann.
  • usw.
  • Was hier auffällt, ist ein völlig anderes Erzählen als das, was Storm uns als angebliche Erzählung des Schulmeisters präsentiert. Es gibt zwar ein paar Stellen, in denen der Zuhörer eingebunden wird - aber man hat eher den Eindruck, das sind reine Pflichtübungen, sonst wäre es Storm wohl mit seiner Konstruktion zu peinlich geworden.
  • Das heißt nicht, dass die dialogische Erzählsituation ungeeignet ist - sie müsste nur durchgehalten werden.
  • Und das werden wir einfach mal versuchen.

Fortsetzung des Erzähldialogs ab dem Kennenlernen von Elke

  • Viele erinnern sich noch an das große Eisboselfest, bei dem der Großknecht Ole Peters Hauke Haien erst mal ausschließen wollte. Er war sowieso ziemlich verärgert, weil er viele Arbeiten des Kleinknechts verrichten musste - denn der musste ja dem Deichgrafen bei den Berechnungen helfen.
  • Außerdem hatte er sich wohl auch bei der Tochter des Deichgrafen Chancen ausgerechnet - und nun macht dieser Hauke nicht nur den besten Wurf beim Wettkampf, sondern Elke wartet lieber auf Hauke als mit ihm zu tanzen.
  • Der kauft für Elke sogar schon einen Ring, traut sich aber nicht, ihn ihr zu geben.  Dafür wird er selbst Großknecht, als Ole Peters den Dienst quittiert.
  • Ein wichtiges Ereignis war dann der Tod von Haukes Vater, der seinem Sohn aber nicht nur alles vererbt hat. Er hat ihm auch klargemacht, dass er von seinen Fähigkeiten her eigentlich der nächste Deichgraf sein sollte. Allerdings blieb da das Problem des fehlenden Bodens unter den Füßen.
  • Das ändert sich, als Hauke es schließlich doch schafft, seiner Elke den Ring zu geben, die ihn aber erst mal nicht an den Finger steckt, sondern heimlich am Hals trägt.
  • Als ihr Vater, der alte Deichgraf dann auch stirbt, ist es soweit: Noch auf der Beerdigung greift die junge Frau ein und unterstützt Hauke, indem sie ihren ganzen, gerade ererbten Besitz Hauke übergeben will - in der festen Erwartung und Sicherheit, dass sie dann baldmöglichst auch heiraten werden. Und so kommt es tatsächlich.
  • Hauke hat dann als neuer Deichgraf jede Menge Stress, denn zum einen ist viel beim alten Deichgrafen liegen geblieben - zum anderen nimmt Hauke sein Amt auch sehr viel ernster.
  • Zu einem Problem für Hauke wird es, als er mitbekommen, dass man ihm nachsagt, er sei nur durch seine Frau zum Deichgrafen geworden. Damals glaubten die Männer ja noch, dass das sich nicht gehöre.
  • Hauke jedenfalls reagiert darauf auf seine Weise: Er steckt seine Pläne noch höher und will einen völlig neuen Deich bauen lassen - nach seinen Vorstellungen mit einer sanfer anlaufenden Steigung, so dass sich das Wasser besser austoben kann, ohne Schaden anzurichten. Elke ist nicht begeistert von der damit verbundenen zusätzlichen Belastung, kann ihren Mann aber nicht umstimmen. Für den ist ist es inzwischen eine Ehrensache.
  • Als der Schulmeister an dieser Stelle eine kurze Pause macht, greift sein Besucher, der gespannt zugehört hat, ein: "Aber was ist denn jetzt mit diesem Schimmel, der mir da begegnet ist.?"
  • Der Schulmeister lächelt: Sie passen wirklich sehr gut auf - und ich habe Glück - denn genau an dieser Stelle kommt der ins Spiel.
  • Eines Tages kommt Hauke nämlich mit solch einem Tier nach Hause, das er völlig abgemagert einem fahrenden Händler abgekauft hat.
  • Es wird gut behandelt, gesundet völlig und wird zum ständigen Begleiter des Deichgrafen.
  • Hin und wieder nimmt Hauke auch seine endlich geborene Tochter Wienke auf dem Schimmel mit, die allerdings geistig behindert ist.
  • Elke leidet sehr darunter, dass sie ihrem Mann kein gesundes Kind hat gebären können - aber der beruhigt sie und macht deutlich, wie sehr er auch dieses Kind liebt.
  • Hauke entfernt sich während des Deichbaus immer mehr von den Leuten. Von ihm wird auch ein Stoßgebet überliefert, in dem er die Allmacht Gottes in Frage stellt, was als Gotteslästerung empfunden wird.
  • Außerdem rettet er eigenhändig einen kleinen Hund, der kurz vor Fertigstellung als eine Art Opfer in die Tiefe geworfen wird.
  • Zur Katastrophe kommt es schließlich, als Hauke einige Zeit krank ist und dann die alte Willenskraft nicht wieder bekommt. So lässt er es zu, dass eine schwache Stelle zwischen dem alten und dem neuen Deich nur oberflächlich geschlossen wird.
  • Er hat dann das Pech, dass eine Jahrhundertflut kommt, die den alten Deich durchbricht und alles versinken lässt. Seine Frau und sein Kind sind auf ihrer erhöhten Hofstelle zwar in Sicherheit, aber Hauke muss zu seinem Schrecken sehen, dass die beiden in einem Pferdewagen zu ihm fahren, weil sie ihn in Gefahr glauben.
  • Als Hauke sieht, wie seine Familie in den Fluten umkommt, stürzt er sich selbst mit seinem Schimmel in die Fluten.
  • An dieser Stelle kann nun der ganz normale Schluss der Novelle einbezogen werden, ggf. etwas gekürzt und modernisiert.

Wer noch mehr möchte

  • Ein alphabetisches Gesamtverzeichnis unserer Infos und Materialien gibt es hier.
  • Eine Übersicht über unsere Videos auf Youtube gibt es hier.



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