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Es gibt viele Möglichkeiten, sich etwas klarzumachen :-)



Wir versuchen es vor allem mit Bildern - aber natürlich auch mit verständlichen Texten.



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Eichendorff, Gedichte, Teil 3: "Der Wegelagerer", "Die zwei Gesellen", "Abschied", "Zwielicht"

Zunächst ein Rückblick auf die drei Gedichte, die wir in den ersten beiden Videos vorgestellt haben.

Das diente gewissermaßen einer vorsichtigen Annäherung an diesen Dichter der Romantik.

Jetzt treten wir hier langsam aufs Gaspedal und stellen in einem weiteren Video gleich vier Videos vor.

Systematischer “Spickzettel” -  zu den Kennzeichen der Romantik

 

1. Gegenbewegung zur Aufklärung

  • Statt Vernunft: Gefühle,
  • G1: "Sehnsucht": "Das Herz mir im Leibe entbrennte"
  • G2: "Frische Fahrt": "das Wirren"
  • G2: "Frische Fahrt": "selig blind"
  • Poesie
  • G1: zwei Gesellen, die "singen"
  • G1: Mädchen lauschen, "wann der Lauten Klang erwacht"
  • G3 "Der frohe Wandersmann": wie die Lerchen "aus voller Brust" singen.
  • Religion:
  • G3 "Der frohe Wandersmann" = völliges Gottvertrauen ("Gunst" Gottes, erhält den Menschen wie die Natur)

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2. Statt des Tages mit seiner Helligkeit

  • Liebe zur Nacht, Mondlicht
  • G1: "Sehnsucht": "In der prächtigen Sommernacht" - "Sich stürzen in die Waldesnacht" - "In der prächtigen Sommernacht"
  • Dämmerung wichtig als Zwischenzustand
  • G1: "Sehnsucht": "In dämmernden Lauben"
  • G2: "Frische Fahrt": "Das Wirren" - zwar keine Dämmerung, aber eben auch eine Unklarheit

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3. Gegenbewegung zur Industrialisierung mit ihrer kalten Maschinen- und Fabrikwelt
-> Natur und Mittelalter

  • G1: "Sehnsucht": "Von schwindelnden Felsenschlüften, / Wo die Wälder rauschen so sacht"
  • G1: "verwildern" - d.h. die Natur übernimmt wieder die Herrschaft
  • G3 "Der frohe Wandersmann" =  Gott will "seine Wunder weisen"
  • G3 "Der frohe Wandersmann" = Mensch als Teil der Natur
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4. Freude an Ruinen und anderen Überresten

  • G1: "Sehnsucht": "verwildern"

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5. Mittelalter = Glaubenseinheit, Jenseitsorientierung

  • G3 "Der frohe Wandersmann" = völliges Gottvertrauen ("Gunst" Gottes, erhält den Menschen wie die Natur)

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6. Im Diesseits: „Das Wunderbare” -  Vgl. Wünschelrute „Schläft ein Lied in allen Dingen“

  • G2: "Frische Fahrt": "ein magisch wilder Fluss"
  • G2: "Frische Fahrt": "selig blind"
  • G3 "Der frohe Wandersmann": Wunder der Schöpfung Gottes

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7. Sehnsucht = zentrales Phänomen

  • G1: "Sehnsucht" - sogar in der Überschrift, aber nur eine, die im Inneren bleibt und nicht nach draußen geht.
  • G2: "Frische Fahrt": Risikobereitschaft: "ich mag mich nicht bewahren" / "ich mag nicht fragen, / wo die Fahrt zu Ende geht."
  • G2: "Frische Fahrt": "Weit von Euch treibt mich der Wind" (Bereitschaft zur Einsamkeit)

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8. Motiv des Wanderns

  • G1: "Sehnsucht": "Ach wer da mitreisen könnte"
  • G2: "Frische Fahrt": Starker Aufbruch

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9. Sehnsucht -> Vorliebe für das Fragment

  • Kritik am Spießertum
  • G3 "Der frohe Wandersmann: Kritik an den "Trägen", "die zu Hause liegen"

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10. Romantische Ironie: Wahrheiten nur im Schwebezustand

  • G1: Sehnsucht: Das lyrische Ich stellt sich das Wandern nur vor, schafft aber nicht den Schritt nach draußen.



  • Zunächst ein ziemlich unbekanntes Gedicht, das aber noch einmal deutlich macht, wie Eichendorff gegenüber denen steht, die einfach ihr bürgerliches Leben führen wollen und dabei auch Verantwortung übernimmt - etwa im Gegensatz zum "Taugenichts". Sie werden als "Philister" verspottet, wenn nicht mehr ...


Der Wegelagerer

  • Interessant, wenn ein preußischer Beamter wie Eichendorff, sich einen "Wegelagerer", also einen Räuber als Thema aussucht.

 

Es ist ein Land, wo die Philister thronen,

Die Krämer fahren und das Grün verstauben,

Die Liebe selber altklug feilscht mit Hauben –

Herr Gott, wie lang willst du die Brut verschonen!

  • Beschrieben wird eine Gegenwelt, die massiv abgelehnt wird:
  • Es geht dabei um die Welt der "Krämer", also der Kaufleute.
  • Und es geht um eine Welt, in der man "das Grün verstauben", also gegen die Natur vorgeht, indem man sie zum Beispiel einhegt, man denke nur an Flüsse, die begradigt werden.
  • Auch das tiefste Gefühl im Menschen, die Liebe, wird in eine bestimmte Form gepresst und mit Geldfragen verbunden.
  • Am Ende eine Art Gebet, das gewissermaßen Gott zur Vernichtung dieser Welt auffordert - eine ziemlich radikale Angelegenheit.

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Es ist ein Wald, der rauscht mit grünen Kronen,

Wo frei die Adler horsten, und die Tauben

Unschuldig girren in den grünen Lauben,

Die noch kein Fuß betrat – dort will ich wohnen!

  • Dem wird eine positive Welt der Natur entgegengestellt, wie das lyrische Ich im romantischen Sinne sie versteht.
  • Interessant, dass hier keine Beziehung hergestellt wird zwischen Adlern und Tauben, die meistens für letztere ungünstig ausgeht.
  • Auch geht es um eine wilde Einsamkeit, in der das lyrische Ich wohnen will.

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Dort will ich nächtlich auf die Krämer lauern

Und kühn zerhaun der armen Schönheit Bande,

Die sie als niedre Magd zu Markte führen.

  • Die Situation erinnert an Räuberei,
  • die sich erstreckt sogar auf "der armen Schönheit Bande": Gemeint ist wohl, die Schönheit zu befreien, die sich sonst nicht zu helfen weiß.
  • Das bestätigt dann die nächste Zeile, in der kritisiert wird, dass die Schönheit nur als "niedre Magd" behandelt wird, mit der man Geld verdienen kann.

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Hoch soll sie stehn auf grünen Felsenmauern,

Dass mahnend über alle stillen Lande

Die Lüfte nachts ihr Zauberlied verführen.

  • Am Ende wieder ein positives Gegenbild, in dem die Schönheit mit drei romantischen Motiven verbunden wird: grün, Felsen und Mauern. Es geht also um die Herrschaft einer naturnahen Schönheit.
  • Am Ende geht es um ein "Zauberlied", das auf diese Art und Weise überallhin verbreitet wird.


Fazit:

Hier geht es insgesamt wohl weniger um Räuberei als um den Versuch, all das, was der Romantiker liebt, von Kommerzialisierung zu befreien.

Letztlich also wohl eher ein positiv gestimmtes bzw. ausgerichtetes Gedicht.

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Hinweis auf die Sonett-Form:

  • mit zwei Quartetten, in der zwei gegensätzliche Welten präsentiert werden - mit einer deutlichen Bevorzugung der zweiten, und
  • zwei Terzetten mit einer poetischen Zukunftsvision.



Dann ein Gedicht, das etwas vorsichtiger ist bei der Abgrenzung zwischen den Guten und den Schlechten:

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Die zwei Gesellen

  • Der Titel ist im Zusammenhang unserer Betrachtung von Gedichten Eichendorffs insofern interessant, als hier erstmals die Rede von Gemeinschaft ist.
  • Wir kennen den Begriff Gesellen heute eigentlich nur noch aus dem Bereich des Handwerks.
  • Er hängt aber auch zusammen mit dem Wort Gesellschaft und das macht ja deutlich, dass der Mensch eben ein Gemeinschaftswesen ist, in enger Verbindung und manchmal auch Abhängigkeit zu anderen.
  • Wenn es um Romantik geht, dann fragt man sich auch, ob hier vielleicht der Freundschaftsaspekt dann im Gedicht eine Rolle spielt. Der war für die Romantiker ja sehr wichtig.

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Es zogen zwei rüst’ge Gesellen

Zum erstenmal von Haus,

So jubelnd recht in die hellen,

Klingenden, singenden Wellen

Des vollen Frühlings hinaus.

  • Der Begriff der Gesellen wird am Anfang des Gedichtes noch etwas erläutert und zwar wird er mit dem Wort rüstig verbunden, wir kennen dieses Wort von der Rüstung her
  • Gemeint ist also, diese beiden Menschen haben alles dabei, was sie für den Lebenskampf beziehungsweise allgemein ihre Aufgaben brauchen. Man kann auch sagen: Sie sind gesund und stark.
  • In den nächsten drei Zeilen kommt dann noch die innere Stimmungslage hinzu: Diese beiden Gesellen freuen sich auch auf das, was sie erwartet, wenn sie von zu Hause aufgebrochen sind.
  • Wenn man auf die anderen Gedichte zurückblickt, die wir bereits behandelt haben, so fällt neben dem Jubel auf, dass hier wie in „Frische Fahrt“ auch wieder das Bild des Wassers auftaucht.
  • Und natürlich ist es auch wieder der Frühling, der auf besondere Art und Weise mit dem Aufbruch verbunden ist.
  • Nicht übersehen sollte man, dass auch der Aspekt der Musik wieder mit einbezogen wird und zwar sogar bezogen auf die Natur.

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Die strebten nach hohen Dingen,

Die wollten, trotz Lust und Schmerz,

Was Rechts in der Welt vollbringen,

Und wem sie vorübergingen,

Dem lachten Sinnen und Herz. –

  • Die dritte Strophe macht dann deutlich, dass diese beiden Gesellen sich hohe Ziele gesetzt haben.
  • Interessant ist der Hinweis, dass diese beiden Gesellen diese hohen Ziele trotz Lust und Schmerz anstreben.
  • Dass hohe Ziele auch nicht Schmerzen verbunden sein können, das weiß jeder Sportler.
  • Wieso aber auch Lust jemanden von hohen Zielen abhalten könnte, ist nicht sofort ganz klar.
  • Gemeint ist aber wohl, dass man hohe Ziele nicht erreicht, wenn man gewissermaßen nach Lust und Laune lebt. D.h.: man muss manchmal auch schöne Ablenkungsangebote ausschlagen, wenn man hohe Ziel erreichen will.
  • Anmerkung: Für die, die später Germanistik studieren oder ihren Deutschlehrer überraschen wollen: Man könnte auf einen Versroman von Hartmann von Aue aus dem Mittelalter verweisen. Dort folgt ein Ritter nicht mehr seinen ritterlichen Pflichten, also: unterwegs für Recht und Ordnung zu sorgen. Sondern er „verligt“ sich, bleibt also zu lange bei seiner frisch angetrauten Frau „liegen“.
    https://de.wikipedia.org/wiki/Erec
    Nach der Hochzeit zieht Erec mit seiner Frau zum „Hof seines Vaters (der zugunsten Erecks auf die Herrschaft verzichtet). Dort vernachlässigt Ereck seine Herrscherpflichten, weil er aus Liebe zu Enite die Tage mit ihr im Bett verbringt (in der Literaturwissenschaft wird dieses Vergehen Erecks meist als verligen bezeichnet, ein Begriff, der unmittelbar Vers 3963 – alte Zählung: V. 2971 – untz daz Er sich so gar verlag entnommen ist).“
  • Die dritte Zeile geht wohl in die Richtung, dass diese beiden jungen Männer etwas Richtiges vollbringen wollen, also nicht irgendetwas, sondern zum Beispiel etwas was auch für die Gemeinschaft gut ist. Hier taucht ein moralischer Aspekt auf, den wir gleich bei dem Gedicht „Abschied“ noch genauer beleuchten werden.
  • Die letzten beiden Zeilen machen dann deutlich, dass die ganze Art, die Einstellung, das Verhalten dieser beiden Gesellen auch Auswirkungen auf andere hat, denen sie begegnen. Die werden zumindest kurzzeitig mitgerissen. Auch dies hier ist wieder ein Hinweis auf die Bedeutung der Gemeinschaft beziehungsweise der Gesellschaft.

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Der erste, der fand ein Liebchen,

Die Schwieger kauft’ Hof und Haus;

Der wiegte gar bald ein Bübchen,

Und sah aus heimlichem Stübchen

Behaglich ins Feld hinaus.

  • Diese Strophe macht deutlich, dass es mit der gemeinsamen Reise dieser beiden Gesellen wohl bald zu Ende ist. Denn einer von beiden verliebt sich und wächst auch gleich in die Familie seiner Frau hinein.
  • Dazu kommt die Verantwortung für ein Kind.
  • Offen bleibt am Ende die Bewertung seines Verhaltens am Fenster. Das erinnert ja das Gedicht „Sehnsucht“ und könnte von daher zumindest teilweise kritisch negativ gemeint sein.
  • Interessant, dass hier auch das Wort „heimlich“ auftaucht. Das hat aber wohl nichts zu tun mit dem „heimlich“ aus dem Gedicht „Sehnsucht“, es bezieht sich auf das Heim, also das Zuhause und das familiäre Umfeld dieses Gesellen.
  • Offen bleibt die Frage, wie das Wort „behaglich“ zu verstehen ist. Hier wird deutlich, dass man ein Gedicht natürlich besser versteht, wenn man den Wortgebrauch des Autos auch von anderen Texten her kennt. Ähnliches gilt aber natürlich auch für Nicht-Schriftsteller. Wenn man Leute etwas besser kennt, dann ahnt man eben schon, was genau mit einem Wort gemeint ist. Hier geht es ja um Konnotationen, also die individuell mit schwingenden Bedeutungsnuancen von Wörtern.
  • Auf jeden Fall deuten „heimlich“ und „behaglich“ die Gegenwelt zu Aufbruch und Reise an.

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Dem zweiten sangen und logen

Die tausend Stimmen im Grund,

Verlockend’ Sirenen, und zogen

Ihn in der buhlenden Wogen

Farbig klingenden Schlund.

  • Ab dieser Strophe wendet sich dann das Gedicht dem zweiten Gesellen zu.
  • Erstaunlich ist hier, dass der Gesang sofort mit etwas Negativem, nämlich der Lüge verbunden wird.
  • Dazu kommt das Moment der Verlockung, wie man es aus der griechischen Sage um Odysseus herum kennt. Da werden Seefahrer nämlich von schön singenden Frauengestalten in den Untergang hineingelockt.
  • Am Ende taucht das Wort „buhlen“ auf und das ist in früheren Zeiten immer verbunden gewesen mit einer negativen Vorstellung. Gemeint war nämlich in der Regel eine nicht-ordentliche Liebe, also eine, die nicht durch eine Ehe sanktioniert war – auch wenn sie meist mehr Leidenschaft mit sich brachte.
  • Interessant ist auch, dass die Farbigkeit in diesem Gedicht offensichtlich negativ gesehen wird. Das erweitert die Vorstellung von dem, was wir in dem Gedicht „Frische Fahrt“ kennengelernt haben. Denn dort waren ja die schönen Farben des Stromes noch eindeutig positiv zu verstehen, wenn auch schon die Frage eines guten oder nicht so guten Endes am Schluss offen gelassen wurde.
  • Hier nun sind sowohl das Singen als auch die Vielfarbigkeit eindeutig etwas negativ Verlockendes.

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Und wie er auftaucht’ vom Schlunde,

Da war er müde und alt,

Sein Schifflein das lag im Grunde,

So still war’s rings in die Runde,

Und über die Wasser weht’s kalt.

  • Erstaunlicherweise gibt es für den zweiten Gesellen noch ein Auftauchen – im Unterschied zu den Seeleuten, die in der Antike den Sirenen zum Opfer fielen.
  • Aber das ist dann bereits mit zwei negativen Attributen verbunden, nämlich „müde“ und „alt“ (natürlich hier in gleicher Richtung gemeint). Dieser Geselle hat also sein Leben ganz offensichtlich falsch genutzt und ist möglicherweise dadurch auch noch früher gealtert.
  • Es folgt dann das Bild des Lebensschiffleins, das im Grunde liegt, also nicht mehr fahrbereit ist, auch nicht mehr tragfähig.
  • Am Ende dann noch zwei negative Aspekte: Zum einen ist es um diesen Gesellen still geworden, also weder Menschen noch Tierwelt können ihn erheitern. Außerdem trifft ihn über den Wassern, also auf seinem Lebensstrom, ein kalter Wind.

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Es singen und klingen die Wellen

Des Frühlings wohl über mir;

Und seh ich so kecke Gesellen,

Die Tränen im Auge mir schwellen –

Ach Gott, führ uns liebreich zu dir!

  • In der letzten Strophe meldet sich jetzt das lyrische Ich zu Wort. Es gibt an, in der gleichen Situation des Frühlings zu sein.
  • Es folgt der Hinweis darauf, dass solche Menschen wie diese beiden Gesellen ihn beunruhigen, ja traurig stimmen.
  • Die Schlusszeile zeigt dann den Ausweg aus der Situation, wie er typisch für Eichendorff ist: Er wendet sich an Gott und bittet ihn darum, ihm zu helfen, die richtigen Entscheidungen zu fällen. Ziel ist dabei: am Ende bei Gott anzukommen.

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  1. Das Gedicht ist insofern etwas Besonderes, als es zwei Lebenswege zeigt. Bei dem ersten hat man vor allem nach dem Gedicht aus dem „Taugenichts“ sofort den Eindruck, dass hier etwas verurteilt wird. Das ist aber gar nicht das Thema dieses Gedichtes, sondern der Hinweis auf die Gefahren, die mit einem völlig anderen Leben verbunden sind.
  2. Das heißt: Das, was in „Frische Fahrt“ nur angedeutet und letztlich offen gelassen worden ist, wird hier negativ ausgestaltet.
  3. Am Ende steht dann eine Lebenseinstellung, wie man sie aus der Barockzeit kennt: Auch dort geht es ja darum, dass der Mensch durch ein schwieriges Leben hindurch am Ende zu Gott geführt wird.
  4. Auf jeden Fall hat sich auf besonders deutliche Weise gezeigt, welche Vorteile es hat, auch noch andere Gedichte eines Dichters zu kennen. Dann fallen einem nämlich vielfältige Querbeziehungen auf, die vorläufige Einschätzung präzisieren, erweitern oder auch korrigieren.



Joseph von Eichendorff

 

Abschied


  • Dieses Gedicht ist mit in unterschiedlichen Ausgaben mit verschiedenen Titeln zu finden (laut den Anmerkungen von Hartwig Schultz in der Ausgabe im Deutschen Klassiker Verlag).
  • Z.B. „Im Walde bei L.“
  • Oder: „Im Walde der Heimat“
  • Oder: „Im Walde“
  • Auf jeden Fall geht es um eine besondere Situation im Leben, bei der man etwas verlässt, was für einen noch mehr oder weniger Bedeutung gehabt hat beziehungsweise hat.
  • Und die anderen Überschriften deuten schon an, dass es dabei um den Abschied von einem Wald geht, der etwas mit der Heimat zu tun hat.

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O Täler weit, o Höhen,

O schöner, grüner Wald,

Du meiner Lust und Wehen

Andächtger Aufenthalt!

Da draußen, stets betrogen,

Saust die geschäftge Welt,

Schlag noch einmal die Bogen

Um mich, du grünes Zelt!

  • Das Gedicht beginnt mit einer emphatischen (gefühlsbetonten, eindringlichen, nachdrücklichen) Anrede an das, was im Zentrum vieler romantischen Gedichte steht, nämlich eine weitläufige Landschaft, die vor allem durch Wald geprägt ist.
  • Die nächsten beiden Zeilen machen deutlich, welche Bedeutung diese Landschaft für das lyrische Ich hat. Sie ist ein Ort der Andacht, an der offensichtlich sowohl positive Erlebnisse („Lust“) wie auch negative Erlebnisse („Wehen“) verarbeitet werden können.
  • Die nächsten Zeilen machen dann deutlich, um was für eine Art von Abschied es hier geht. Offensichtlich muss das lyrische Ich diese ihm wohltuende Landschaft verlassen und jetzt in eine Welt hineingehen, die vor allem von Geschäftigkeit geprägt ist.
  • Man kann sich vorstellen, dass hier jemand zum Beispiel aus beruflichen Gründen seine ländliche Heimat verlassen muss und demnächst seinen Lebensunterhalt in einer Stadt unter den Bedingungen wirtschaftliche Konkurrenz verdienen muss.
  • Die beiden letzten Zeilen passen sehr gut zur Situation des Abschieds. Denn die ist ja geprägt dadurch, dass wir noch einmal intensiv mit dem Kontakt aufnehmen möchten, das man demnächst nur noch in der Erinnerung zur Verfügung hat. Möglicherweise ist damit auch ein gewisser Prozess des Auftankens gemeint, mit dem man die auf einen zukommende und ganz anders geartete Welt zumindest für einige Zeit besser ertragen kann.

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Wenn es beginnt zu tagen,

Die Erde dampft und blinkt,

Die Vögel lustig schlagen,

Daß dir dein Herz erklingt:

Da mag vergehn, verwehen

Das trübe Erdenleid,

Da sollst du auferstehen

In junger Herrlichkeit!

  • Die zweite Strophe veranschaulicht in den ersten vier Zeilen das, was das lyrische Ich an der Natur der Heimat schätzt.
  • Die zweite Hälfte führt näher aus, was dadurch beim lyrischen Ich bewirkt wird: nämlich ein Vergessen all dessen, was zusammenggefasst als „Erdenleid“ verstanden wird.
  • Bei der letzten Verszeile ist nicht ganz klar, wer oder was dort angeredet wird. Das lyrische Ich kann sich selbst meinen und damit eine Art Regenerationsprozess ansprechen. Dazu passt allerdings das Wort „Herrlichkeit“ nicht so richtig, das kaum jemand so ungeschützt auf sich selbst bezieht.
  • Von daher liegt es wohl näher, dieses „du“ noch in dem Kommunikationszusammenhang zu verstehen, der vorher angelegt worden ist: Es geht also um den Wald, der dann wohl für das lyrische Ich noch einmal in seiner ganzen Schönheit und positiven Wirkung erlebbar wird.

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Da steht im Wald geschrieben

Ein stilles, ernstes Wort

Von rechtem Tun und Lieben,

Und was des Menschen Hort.

Ich habe treu gelesen

Die Worte, schlicht und wahr,

Und durch mein ganzes Wesen

Wards unaussprechlich klar.

  • Die dritte Strophe geht dann einen Schritt weiter und verbindet den Wald mit einer Art Lebensmaxime, in der es um das richtige „tun und lieben“ geht - und um das, was dem Menschen innerlich eine Art Hafen gibt, in dem man immer wieder Schutz findet und in dem man natürlich auch an Land gehen kann.
  • In den letzten vier Zeilen der Strophe bekennt das lyrische Ich sich dazu, dass es diese Maxime tief in sich aufgenommen hat und auch in seinem Wesen verwirklicht hat. Es geht es geht also nicht nur um die passive Übernahme einer Lebensweisheit, sondern auch um deren Umsetzung.

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Bald werd ich dich verlassen,

Fremd in der Fremde gehn,

Auf buntbewegten Gassen

Des Lebens Schauspiel sehn;

Und mitten in dem Leben

Wird deines Ernsts Gewalt

Mich Einsamen erheben,

So wird mein Herz nicht alt.

  • In dieser Strophe geht das lyrische Ich dann noch mal genauer auf die Situation des Abschieds ein. Hervorgehoben werden auf der einen Seite das Fremdsein, auf der anderen Seite das Bunte des Lebens.
  • Den Schluss bildeten die sichere Erwartung, dass diese innere und in gewisser Weise normative Rückbindung an den heimatlichen Wald dazu führen wird, dass es gewissermaßen nicht untergeht. Hier kann man sehr gut anschließen an den Schluss des Gedichtes „Die zwei Gesellen“, in der die möglichen Gefahren im Leben beschrieben werden.

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Das Besondere dieses Gedichtes besteht darin, dass es deutlich macht, dass die Waldheimat nicht nur ein Ort der Erinnerung ist, sondern auch eine Art bleibenden Schatz darstellt, auf den man immer wieder zurückgreifen kann und der einen vor negativen Entwicklung bewahren kann.

Inhaltlich wird es nicht weiter ausgeführt, aber es geht wohl in die Richtung, dass man in seiner Jugend gewisse Lebensmaximen und Regeln vermittelt bekommen kann, die dann dafür sorgen, dass man im Leben immer wieder an der richtigen Stelle Anker werfen kann und Sicherheit findet.

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Und am Ende ein Gedicht, das die Abgründe deutlich macht, vor denen auch Romantiker nicht gefeit sind.


Joseph von Eichendorff

 

Zwielicht


  • Der Titel ist doppeldeutig:
  • Zum einen bezeichnet der Begriff „Zwielicht“ einfach einen Zustand am Morgen oder am Abend, wenn das Tageslicht sich nocht nicht durchgesetzt hat oder schon am Verschwinden ist.
  • Zum anderen kennt man die Formulierung, dass jemand zum Beispiel ein zwielichtiges Spiel spielt. Das bedeutet dann, dass es undurchsichtig ist und möglicherweise schlechte Absichten verfolgt werden.

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Dämmrung will die Flügel spreiten,

Schaurig rühren sich die Bäume,

Wolken zieh’n wie schwere Träume -

Was will dieses Grau´n bedeuten?

  • Der Anfang der ersten Strophe schafft dann Klarheit, dass es eben um den Licht-Zwischenzustand zwischen Tag und Nacht geht.
  • Interessant die Personifizierung der Dämmerung als Vogel. Die Abnahme des Tageslichts wird im Bild sich ausbreitender Flügel präsentiert.
  • Die nächsten zwei Zeilen machen dann im Zusammenhang mit Wolken deutlich, dass diese Dämmerung mit negativen Gefühlen beziehungsweise Erwartungen verbunden ist.
  • Am Ende ist sogar vom „Grau’n“, also vom Grauen die Rede. Wir verbinden damit sicher das Wort „grauenvoll“. Das macht besonders deutlich, dass es hier um ein Gefühl tiefer Verunsicherung geht – zwischen Angst und Verzweiflung.
  • Offen bleibt die Frage, was dahinter steckt. Auf jeden Fall ist klar, dass es sich um eine unbestimmte Angst handelt, nicht um eine Furcht, bei der klar ist, worauf sie sich bezieht.

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Hast ein Reh du lieb vor andern,

Lass es nicht alleine grasen,

Jäger zieh’n im Wald’ und blasen,

Stimmen hin und wider wandern.

  • Die zweite Strophe beginnt überraschend, weil von der Liebe zu einem Reh die Rede ist. Aber das steht wohl einfach für etwas Wertvolles, das man nicht verlieren will.
  • Und die in der dritten Zeile erwähnten Jäger zeigen an, dass hier etwas bedroht ist und man es nicht alleine lassen soll.
  • Wenn man das auf die Welt der Menschen beziehen will, dann könnte mit dem „Reh“ ein Partner gemeint sein, den man nicht zu sehr alleine lassen sollte, weil er dann einfach von anderen „erjagt“ werden könnte – im Sinne von: an einen anderen Menschen verloren gehen.
  • Aus der bezugslosen Angst ist in der zweiten Strophe eine zumindest einigermaßen deutliche Furcht geworden, der man begegnen sollte.

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Hast du einen Freund hienieden, [hienieden = in dieser Welt]

Trau ihm nicht zu dieser Stunde,

Freundlich wohl mit Aug’ und Munde,

Sinnt er Krieg im tück’schen Frieden.

  • Die nächste Strophe konzentriert sich dann ganz klar auf den Bereich der Menschenwelt und zwar auf die Freundschaft. Die spielte ja in der gesamten Zeit des Idealismus eine große Rolle – vom Sturm und Drang über die Klassik bis hin zur Romantik und damit zu Eichendorff.
  • Es folgt die klare Warnung, in dieser besonderen Stunde des Zwielichts, nicht zu vertrauensvoll zu sein.
  • Verbunden ist das mit der Begründung, dass ein scheinbar freundliches Verhalten oder Sprechen in Wirklichkeit mit feindlichen Absichten verbunden ist.
  • Das wird erstaunlicherweise als Tatsache hingestellt, obwohl es in den seltensten Fällen so krass Realität werden sollte. Es verstärkt sich der Eindruck, dass dieses Gedicht einfach Ängste ausdrücken soll im Übergangsbereich vom hellen Tag zur dunklen Nacht.

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Was heut müde gehet unter,

Hebt sich morgen neu geboren.

Manches bleibt in Nacht verloren -

Hüte dich, bleib’ wach und munter!

  • Die letzte Strophe präsentiert an einen positiven Ausblick.
  • Zum einen wird angedeutet, dass halt die Gedanken und Gefühle, die eben geäußert worden sind, möglicherweise mit Müdigkeit zusammenhängen. Jeder Mensch kennt das, dass Müdigkeit auch mit Niedergeschlagenheit bzw. Sorgen oder Ängsten verbunden sein kann.
  • Das Positive ist dann die Aussicht auf einen neuen Tag, der neues Leben hervorbringt.
  • Am Ende wird dann aber doch noch mal darauf hingewiesen, dass es solche Nacht-Erlebnisse gibt, die dann zwar mit dem Beginn des Tages verloren gegangen sind, die man aber im Auge behalten sollte, weil sie anscheinend doch für reale Gefahren stehen. Man könnte auch sagen: Solche Stunden des Zwielichts, der Dämmerung machen aufmerksam, dass die Existenz des Menschen in vielerlei Hinsicht nicht so sicher ist, wie es im Sonnenschein des Tages zu sein scheint.

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Insgesamt erschien dieses Gedicht auf den ersten Blick zunächst etwas rätselhaft, ja verstörend. Aber ein genauerer Blick hat deutlich gemacht, dass es eben eine Tageszeit gibt mit entsprechenden Stimmungen, die vorwiegend Gefahren sehen.

Verbunden ist das aber zumindest ansatzweise in dem Gedicht bereits mit der Vorstellung des neuen Tages, bei dem dann solche Gefühle und Sorgen zurücktreten.

Es bleibt immer ein Rest von Ungewissheit, was Anlass zur Vorsicht ist.

Wer noch mehr möchte



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