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Es gibt viele Möglichkeiten, sich etwas klarzumachen :-)



Wir versuchen es vor allem mit Bildern - aber natürlich auch mit verständlichen Texten.



Ödön von Horvath, "Jugend ohne Gott"

Ödön von Horváth, "Jugend ohne Gott"

Vorbemerkung:

Wer sich erst einen knappen Überblick über den Inhalt verschaffen will, findet hier ein Schaubild mit Erklärungen;

https://www.einfach-gezeigt.de/jugend-ohne-gott-inhalt-schaubild

  • "Jugend ohne Gott" ist 1937 entstanden, also 4 Jahre nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland, was ihm zur Zeit der Entstehung des Romans schon einige, vor allem finanzielle Schwierigkeiten bereitete.
  • Der Titel sagt schon viel aus über Inhalt und Aussage des Romans: Es geht um eine Jugend, die nur noch nach Nummern benannt wird, also über keine eigene Individualität verfügt.
  • Das entspricht dem Erziehungsprogramm der Schule, an der die Hauptfigur des Romans, ein Lehrer, tätig ist.
  • Zumindest geht ein Schlüsselsatz des Direktors der Schule in diese Richtung: „Wir müssen von der Jugend alles fernhalten, was nur in irgendeiner Weise ihre zukünftigen militärischen Fähigkeiten beeinträchtigen könnte – das heißt: wir müssen sie moralisch zum Krieg erziehen. Punkt!“
  • Konkret zeigt sich das zum Beispiel beim Schüler N, der in einem Aufsatz schreibt: „Alle Neger sind hinterlistig, feig und faul."
  • Auch Mitschüler haben unter seinen Vorurteilen zu neigen, zum Beispiel Z, der ein Tagebuch verfasst.
  • Daraus entsteht ein Streit, an dessen Ende N. schließlich tot ist.
  • Der Lehrer ist zwar eigentlich gegen die neue herrschende Ideologie, aber als er N. wegen seiner rassistischen Bemerkung kritisiert, gerät er ins Abseits, wird von Eltern kritisiert und muss vorsichtig sein.
  • Er wird schuldig, als er selbst das Tagebuch von Z. aufbricht, weil er wissen will, was es mit dessen Beziehung zur Anführerin einer Jugendbande auf sicht hat. Die ist nämlich in der Nähe eines Zeltlagers aktiv, in das der Lehrer mit seiner Klasse aufgebrochen ist.
  • Der Lehrer gesteht schließlich seine Mitschuld und nähert sich auch Gott als einer letzten moralischen Instanz an, an den er früher nicht geglaubt hat.
  • Er bemüht sich weiter, den Mord aufzuklären und verdächtigt auf Grund einiger Indizien den Schüler T.
  • Der erscheint nämlich immer wieder völlig empathielos, ohne Mitgefühl mit anderen Menschen, will sogar gerne mal jemanden sterben sehen.
  • Er wird schließlich tot aufgefunden, er hat sich erhängt, weil er etwas von den Nachforschungen des Lehrers mitbekommen hat.
  • Am Ende verlässt der Lehrer den Ort, an dem er so viel Schlimmes gesehen hat und selbst auch schuldig geworden ist, um an einer Missionsschule in Afrika zu unterrichten.
  • Insgesamt ein Roman, in dem es um das Leben in einer totalitären Diktatur geht, die die jungen Menschen zu weitgehend willenlosen Nummern macht.
  • Dazu kommen die Abgründe, die mit jemandem wie T. verbunden sind.
  • Und auch der Lehrer verstrickt sich in das Geschehen und kommt nicht ohne Schuld aus der Nummer heraus.
  • Interessant ist sicher die Vorstellung von Gott, die schon im Titel ausgedrückt wird und sich durch den ganzen Roman zieht. Er steht vor allem für eine Moral, die in der Zeit der Diktatur bewusst und zielgerichtet außer Kraft gesetzt wird.


Eine erste Schlüsselstelle: "Es regnet" (S. 4/5)

Als die Hauptfigur des Romans, der Lehrer, am Tag nach der Korrektur von Klassenarbeiten die Schule betritt, wird er Zeuge eines Vorfalls, der viel aussagt über diese "Jugend ohne Gott":

  1. "Als ich am nächsten Morgen in das Gymnasium kam und die Treppe zum Lehrerzimmer emporstieg, hörte ich auf dem zweiten Stock einen wüsten Lärm. Ich eilte empor und sah, daß fünf Jungen, und zwar E, G, R, H, T, einen verprügelten, nämlich den F.
  2. »Was fällt euch denn ein?« schrie ich sie an. »Wenn ihr schon glaubt, noch raufen zu müssen wie die Volksschüler, dann rauft doch gefälligst einer gegen einen, aber fünf gegen einen, also das ist eine Feigheit!«
  3. Sie sahen mich verständnislos an, auch der F, über den die fünf hergefallen waren. Sein Kragen war zerrissen. »Was hat er euch denn getan?« fragte ich weiter, doch die Helden wollten nicht recht heraus mit der Sprache und auch der Verprügelte nicht. Erst allmählich brachte ich es heraus, daß der F den fünfen nichts angetan hatte, sondern im Gegenteil: die fünf hatten ihm seine Buttersemmel gestohlen, nicht, um sie zu essen, sondern nur, damit er keine hat. Sie haben die Semmel durch das Fenster auf den Hof geschmissen.
  4. Ich schaue hinab. Dort liegt sie auf dem grauen Stein. Es regnet noch immer, und die Semmel leuchtet hell herauf.
  5. Und ich denke: vielleicht haben die fünf keine Semmeln, und es ärgert sie, daß der F eine hatte. Doch nein, sie hatten alle ihre Semmeln, und der G sogar zwei. Und ich frage nochmals: »Warum habt ihr das also getan?« Sie wissen es selber nicht. Sie stehen vor mir und grinsen verlegen. Ja, der Mensch dürfte wohl böse sein, und das steht auch schon in der Bibel. Als es aufhörte zu regnen und die Wasser der Sündflut wieder wichen, sagte Gott: »Ich will hinfort nicht mehr die Erde strafen um der Menschen willen, denn das Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf.«
  6. Hat Gott sein Versprechen gehalten? Ich weiß es noch nicht. Aber ich frage nun nicht mehr, warum sie die Semmel auf den Hof geworfen haben. Ich erkundige mich nur, ob sie es noch nie gehört hätten, daß sich seit Urzeiten her, seit tausend und tausend Jahren, seit dem Beginn der menschlichen Gesittung, immer stärker und stärker ein ungeschriebenes Gesetz herausgebildet hat, ein männliches Gesetz: Wenn ihr schon rauft, dann raufe nur einer gegen einen! Bleibet immer ritterlich! Und ich wende mich wieder an die fünf und frage: »Schämt ihr euch denn nicht?«
  7. Sie schämen sich nicht. Ich rede eine andere Sprache. Sie sehen mich groß an, nur der Verprügelte lächelt. Er lacht mich aus.
  8. »Schließt das Fenster«, sage ich, »sonst regnets noch herein!«
  9. Sie schließen es.
  10. Was wird das für eine Generation? Eine harte oder nur eine rohe?
  11. Ich sage kein Wort mehr und gehe ins Lehrerzimmer. Auf der Treppe bleibe ich stehen und lausche: ob sie wohl wieder raufen? Nein, es ist still. Sie wundern sich."


Auswertung einer Seite des Bayerischen Rundfunks

Interessante Hinweise zum Hintergrund des Romans und zur Seelenlage der Jugend findet sich auf der folgenden Seite:
https://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/land-und-leute/horvats-antikriegsroman-jugend-ohne-gott108.html


Wir verweisen hier nur auf die wichtigsten Charakterisierungen und kommentieren sie kurz:

  1. "Schüler werden zu Menschenverachtung, Gehorsam und Rassenhass erzogen."
    Hier sollte man "Gehorsam" als Ausgangspunkt nehmen.
    Es folgt eine allgemeine Menschenverachtung, die aber differenziert werden muss, denn der Krieger gilt ja schon etwas.
    Rassenhass ist ein besonderer Teil der Menschenverachtung, aber die gilt auch zum Beispiel gegenüber Menschen, die angeblich zu human sind ("Gefühlsduselei")
  2. "Bei Geländeübungen und Lagerfeuerromantik erlernen sie das Kriegshandwerk."
    Damit wird ein wesentlicher Bereich der Arbeit an der sog. Hitlerjugend angesprochen.
  3. "Obrigkeitshörige, selbstsüchtige und opportunistische Erwachsene geben sich am Rande des Abgrunds der Genusssucht hin."
    Interessant ist hier, dass die Erwachsenen, die ja schon eine eigene Prägung aus der Jugend hinter sich haben, hier so voll und ganz mitmachen.
  4. "Würde, individuelle Freiheit und geistige Unabhängigkeit gelten nichts mehr."
    Hier werden Gegenmodell zu Punkt 1 genannt.
  5. "Thematisiert werden
  6. das Verlorensein einsamer Menschen",
    Hier geht es wohl darum, dass diese Menschen nichts haben, was ihnen ein Gegengewicht gibt - man denke an den Titel.
    Interessant ist, dass darauf in dieser zusammenfassenden Charakterisierung gar nicht eingegangen wird.
  7. "die in der Lüge leben,"
    Das ist sicher ein zentraler Punkt, der aber genauer ausgeführt werden müsste. Es geht eigentlich um Ideologie und eine entsprechende Propaganda.
  8. "und der Weg zur Wahrheit,"
    Hier ist man etwas erstaunt, dass etwas Positives kommt.
  9. "den sie im Erleben von Solidarität finden."
    Das bezieht sich wahrscheinlich auf die Momente im Roman, in denen etwas aufscheint, das im Programm der Machthaber nicht vorgesehen ist.
  10. Es ist „die Tragödie einer Jugend, die, ohne Liebe zu Gott und Achtung vor den Menschen, in Verachtung all dessen aufwächst, was früheren Generationen heilig war.“
    Hier kommt im Zitat dann doch noch Gott vor, ohne dass genauer darauf eingegangen wird.
    Hinzu kommt die Bedeutung von Kultur im Sinne von traditierten Überzeugungen und Verhaltensweisen.


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