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Es gibt viele Möglichkeiten, sich etwas klarzumachen :-)



Wir versuchen es vor allem mit Bildern - aber natürlich auch mit verständlichen Texten.



induktive-deduktive-interpretation-eichendorff-nachtzauber

Der Unterschied zwischen "induktiv" und "deduktiv" beim Interpretieren - am Beispiel von Eichendorffs Gedicht "Nachtzauber"


  1. Wer unseren Kanal kennt, weiß, dass wir Gedichte gerne von unten nach oben interpretieren. D.h.: Wir nehmen uns Zeile für Zeile vor und folgen damit dem, was das lyrische Ich dem Leser mitteilt.
  2. Das hat den Vorteil, dass sich damit Schritt für Schritt das Verständnis aufbaut - und das ist besonders in der Schule von großem Vorteil.
  3. Das entspricht auch der Jahrhunderte alten Lehre der so genannten Hermeneutik, bei der von einer Art Kommunikation zwischen dem Text und dem Leser ausgegangen wird.
  4. Schon der Titel eines Gedichtes erweckt ein gewisses Vor-Verständnis und das verändert und präzisiert sich dann mit jeder weiteren Verszeile. (Man nennt das den hermeneutischen Zirkel, wir würden eher von einer hermeneutischen Spirale sprechen, weil der Kreisverkehr zwischen analysierendem Subjekt und Text-Objekt ja nicht auf dem gleichen Niveau bleibt, sondern in Richtung von immer mehr Verständnis aufsteigt.)
  5. Jedes neue Verständnis wird immer wieder am Text überprüft und am Ende kann man dann in einer Art Zusammenfassung schreiben, was das Gedicht insgesamt aussagt.
  6. Man nennt dieses Verfahren auch induktiv, wenn man von den Einzelheiten ausgeht und dann langsam abhebt und dabei auch größere Zusammenhänge immer besser sieht.
  7. Nun soll die Schule natürlich auch auf die Wissenschaft vorbereiten und die geht anders vor. Da wird nicht der Vorgang des Verständnisaufbaus beschrieben, sondern das Verständnis ist schon vor dem Schreiben der Analyse da. Der Wissenschaftler kennt ja schon vieles aus dem Umfeld des Gedichtes und im Hinblick auf den Dichter und sieht natürlich dann so ein Gedicht mit ganz anderen Augen als ein Schüler. Bei ihm bildet sich im Kopf eine These, die stellt er an den Anfang der Analyse und dann begründet er seine Erkenntnisse, damit auch andere ihm entsprechend folgen können, oder sie entwickeln das eine oder andere dann auf dieser Basis anders oder weiter.
  8. Dieses Verfahren nennt man deduktiv, weil es gewissermaßen von oben nach unten führt, von der feststehenden Ergebnis-These zu den Belegen dafür.
  9. Allein schon der Begriff der Deutungshypothese macht eigentlich klar, dass ein anderes Verfahren - nämlich das induktive oder hermeneutische -  günstiger ist: Man überfliegt das Gedicht und formuliert dann eine vorläufige These, die nichts anderes ist als das Vorverständnis des hermeneutischen Zirkels. Interpretieren in der Schule heißt also verstehen und zwar im Verlauf eines Prozesses, während in der Wissenschaft ein Verständnis nur beschrieben und möglichst abgesichert wird.
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  10. Wir zeigen im folgenden an einem Gedicht von Eichendorff, wie man es induktiv oder auch hermeneutisch interpretiert.
  11. Dann haben wir ja ein hoffentlich gutes Verständnis und können dann in der deduktiven Analyse das fertige Verständnis an den Anfang setzen und brauchen es dann nur noch zu verteidigen.
  12. Dieser Begriff wird heute häufig noch verwendet im Zusammenhang mit Doktorarbeiten: Die sind ja fertig geschrieben und werden dann veröffentlicht und müssen gegebenenfalls in einem mündlichen Gespräch mit anderen Fachleuten verteidigt werden.
  13. Schüler schreiben aber keine Doktorarbeit und von daher plädieren wir weiterhin dafür, dass man in der Schule möglichst induktiv vorgeht und den Verständnisprozess auch gleich im Rahmen der Analyse beschreibt. Das hat dann auch den Vorteil für andere, die sich in der gleichen Position befinden: Sie können dann einfach besser folgen, als wenn ihnen gleich die komplette Erkenntnis "vor den Kopf geknallt" wird.
  14. Ein entscheidender praktischer Vorteil für Schüler ist, dass sie beim induktiven Verfahren in einer Klausur keine Zeit mit langen Vorarbeiten verlieren. Stattdessen bringen sie nach kurzem Blick auf den Text schon mal was Vorläufiges zu Papier und entwickeln, verfeinern  und verbessern das dann immer weiter.



Video zum Thema

Inzwischen gibt es auch ein Video zum Thema, das hier abgerufen werden kann:

https://youtu.be/RxHD1N8HS6E

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Die Dokumentation kann hier angeschaut bzw. heruntergeladen werden:

Videodokumentation herunterladen

Die induktive Klärung der Ausage des Gedichtes

 
Joseph von Eichendorff


Nachtzauber


  • Schon die Überschrift setzt einen deutlichen Akzent, der auch für Schüler über den Namen des Verfassers schnell zur Epoche der Romantik führt.
  • Auf fast schon ideale Art und Weise wird die Nacht, die für die Romantiker im Vergleich zum Tag mit seiner Betriebsamkeit meistens die schönere Tagesvariante war, verbunden mit dem Zauber, d.h. einem Bereich, der die normale Realität infragestellt beziehungsweise übersteigt.

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Hörst du nicht die Quellen gehen

Zwischen Stein und Blumen weit

Nach den stillen Waldesseen,

Wo die Marmorbilder stehen

In der schönen Einsamkeit?

  • Der Eindruck, dass es in diesem Gedicht um romantische Motive geht, setzt sich dann zu Beginn der ersten Strophe gleich fort, wenn von Naturelementen wie Quellen, Steinen und Blumen die Rede ist. Interessant ist der Sprachgestus der Anrede - der Leser kann sich einbezogen fühlen, auch wenn das lyrische Ich mit sich selbst sprechen sollte.
  • oder auch von "stillen Waldesseen". hier werden wieder zwei Elemente miteinander verbunden, nämlich die Stille, die im folgenden noch durch Einsamkeit verstärkt wird, und das Landschaftselement "Seen" sehen, gleich in der Mehrzahl.
  • Ergänzt werden die Naturelemente durch etwas ebenfalls romantisch Typisches, nämlich "Marmorbilder". Hier geht es also um Kunstwerke, die einen in der Regel an frühere Zeiten erinnern - bis hin zur Antike.

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Von den Bergen sacht hernieder,

Weckend die uralten Lieder,

Steigt die wunderbare Nacht,

Und die Gründe glänzen wieder,

Wie dus oft im Traum gedacht.

  • In der zweiten Strophe kommt ein neues Element hinzu, das ebenfalls typisch ist für die Romantik, nämlich die Lieder, die eine Brücke schlagen zwischen der Vergangenheit (uralt) und der Gegenwart beziehungsweise sogar der Zukunft (Wecken)
  • Das Adverb "sacht" verstärkt das Signal des Stillen, das aus Strophe 1 schon bekannt ist.
  • Im Zentrum steht hier erstmals die Nacht, die mit dem Wunderbaren verbunden wird, was wiederum das Motiv des Zaubers verstärkt.
  • Nicht ganz klar sind die letzten beiden Zeilen, am ehesten ist wohl an Tal-Gründe zu denken, die jetzt möglicherweise in den Glanz des Mondes getaucht werden.
  • Auf jeden Fall wird eine Verbindung hergestellt zwischen der äußeren Situation und der inneren (Träume).

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Kennst die Blume du, entsprossen

In dem mondbeglänzten Grund?

  • In der nächsten Strophe wendet sich das lyrische Ich direkt an den Leser und fragt ihn, ob er eine bestimmte Blume kennt, die auf einem solchen vom Mond beglänzten (damit bestätigt sich auch die Vermutung des Mondlichts) Grund entsprossen ist.
  • Bei der Romantik denkt man hier möglicherweise an die blaue Blume der Fantasie.

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Aus der Knospe, halb erschlossen,

Junge Glieder blühend sprossen,

Weiße Arme, roter Mund,

  • Der Rest der Strophe wendet sich dann dem Entwicklungsprozess der Pflanze zu und vermenschlicht das Ganze mit Bezügen zur Erotik (die weißen Arme der Frauen damals, der rote, also geschminkte Mund).

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Und die Nachtigallen schlagen,

Und rings hebt es an zu klagen,

  • In der folgenden Doppelzeile geht es um den Gesang von Nachtigallen, was erstaunlicherweise in eine Art Klagegesang mündet, wofür zunächst einmal der Grund fehlt.

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Ach, vor Liebe todeswund,

Von versunknen schönen Tagen -

  • Dieser Grund wird dann in der folgenden Doppelzeile aufgenommen, die zugleich die erotischen Signale bestätigt und verstärkt.
  • Die Liebe wird hier als etwas Schmerzliches, das sogar bis zum Tod reicht, wahrgenommen.
  • Das wird verbunden mit dem Hinweis auf frühere schöne Zeiten, es geht also offensichtlich um eine verlorene Liebe.

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Komm, o komm zum stillen Grund!

  • Das Gedicht endet dann mit einer Art Lockruf, sich zu diesem stillen Grund zu begeben.
  • Der Grund dafür ist nicht ganz klar, denn offensichtlich schafft ja gerade diese Umgebung eine schmerzliche Atmosphäre man würde sich eher Ablenkung wünschen.
  • Man hat fast das Gefühl von Todessehnsucht am Ende, das würde zumindest auf der bisherigen Linie des Gedichtes liegen.

Aussagen des Gedichtes

Die Aussagen des Gedichtes (Intentionalität)

Hier werden die Signale des Gedichtes zusammenfassend ausgewertet - allerdings erst mal nur im Hinblick auf das Gedicht und seinen Inhalt selbst.


Das Gedicht zeigt:

  1. in der ersten Strophe die schönen Seiten einer romantisch empfundenen Natur,
  2. in der zweiten Strophe dann eine Abfolge von Werden und Vergehen, vor allem in der Liebe.

Unterstützung der Aussagen des Gedichtes durch künstlerische Mittel

Hier ist es wichtig, nicht alles aneinanderzureihen, was einem auffällt und einfällt.

Sondern man sollte Bezüge herstellen zwischen den Mitteln und den Aussagen:


Das Gedicht zeigt  ... und wird dabei unterstützt durch ...

  • in der ersten Strophe die schönen Seiten einer romantisch empfundenen Natur,
  • Frageform zur Herstellung oder Demonstration von Aufmerksamkeit / Achtsamkeit
  • Aneinanderreihung von Objekten, die zur romantischen Natur gehören
  • Schluss-Stellung der "Nacht" als dem wichtigsten Elemente der 1. Strophe
  • in der zweiten Strophe dann eine Abfolge von Werden und Vergehen, vor allem in der Liebe.
  • das zentrale Bild der Blume für die Liebe und ihr Schicksal
  • Vermenschlichung von Elementen der Blume (Personifikationen)
  • Gegensatz zwischen "weiß" als Symbol der Unschuld und "rot" als Symbol der erotischen Verlockung
  • Ausruf der Klage
  • Neologismus "todeswund"
  • Appell am Ende
  • Ein zentrales Mittel ist aber auch die Unklarheit dessen, was hinter dem "todeswund" steckt und wohin letztlich das lyrische Ich sich oder auch den mitfühlenden Leser lockt.



Sinnpotenzial des Gedichtes - Bedeutung für heute

  • All das, was im Gedicht beschrieben wird, kann auch heute noch empfunden werden.
  • Es handelt sich um zutiefst menschliche Gefühle, die vor allem gekennzeichnet sind durch den Zusammenhang von Naturschönheit und Begreifen auch der schmerzlichen Seiten des Lebens und der Liebe.

Die deduktive Variante von Analyse und Interpretation

Bei der deduktiven Interpretation würde man nach der Einleitung keine Deutungshypothese präsentieren, sondern abschließende Thesen zur Analyse und Interpretation des Gedichtes, die natürlich offen sind du für Korrektur, Präzisierung beziehungsweise Erweiterung durch andere, wie es für den wissenschaftlichen Prozess typisch ist.

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Eine solche Einleitung mit Ergebnis-Thesen könnte etwa folgendermaßen aussehen:

Bei dem Gedicht "Nachtzauber" von Eichendorff

  • handelt es sich um einen typischen Text der romantischen Lyrik,
  • der zum einen die Schönheit der Natur,
  • besonders in der Nacht, hervorhebt,
  • dann aber auch deutlich macht, dass diese Schönheit schmerzliche Gefühle hervorrufen kann,
  • die vermutlich mit der Vergänglichkeit des Schönen und vielleicht auch des Lebens insgesamt Zusammenhängen.


Damit wird eine spezielle Richtung der Romantik deutlich, die das Schöne mit dem Schmerzlichen verbindet und möglicherweise auch in einer Art von Melancholie endet.


Die hellere Seite der Romantik, die in Natur und Einsamkeit Ruhe und Frieden findet und sich – besonders bei Eichendorff – letztlich in einem größeren, transzendenten Zusammenhang geborgen fühlt, ist hier nur in Ansätzen vorhanden.

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  • Bei den im Gedicht angesprochenen
  • Situationen
  • und den sich daraus ergebenden Gefühlen
  • handelt es sich um Grundsituationen und Empfindungen des menschlichen Lebens,
  • die sicherlich im Einzelnen unterschiedlich stark gegeben sind,
  • auf jeden Fall jederzeit auch heute noch aktuell werden können.
  • Es ist allerdings die Frage, ob bei zunehmender Naturferne und Orientierung hin auf Medien sowohl die Intensität wie auch die Verbreitung solcher Bewusstseins- und Gefühlszustände auch heute noch gegeben sind.

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Anschließend müsste man die hier aufgestellten Thesen am Text belegen. Das sieht natürlich beim deduktiven Darstellungsverfahren anders aus als beim induktiven, weil sich ja nicht erst langsam eine Einsicht, die zu einer These werden kann, herausbildet, sondern diese ja schon am Anfang der Darstellung als Ergebnis vorliegt.



Wer noch mehr möchte

  • Ein alphabetisches Gesamtverzeichnis unserer Infos und Materialien gibt es hier.
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