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Es gibt viele Möglichkeiten, sich etwas klarzumachen :-)



Wir versuchen es vor allem mit Bildern - aber natürlich auch mit verständlichen Texten.



brockes-belehrendes-gleichnis

Barthold Heinrich Brockes, "Belehrendes Gleichnis"

Hierzu gibt es auch ein Video:

https://youtu.be/6oy-KnUyWMc

Die Dokumentation kann hier heruntergeladen werden:

Dokumentation herunterladen

Belehrendes Gleichnis

  • Schon die Überschrift passt zur Epoche der Aufklärung,
  • weil sie nicht nur ein Gleichnis ankündigt,
  • also etwas, das als Mittel zum Zweck dient,
  • Erleichtert werden soll das Verständnis - oder es sind sogar Verständnishindernisse zu überwinden.
  • Dann verwendet man etwas aus einem anderen Bereich.
  • Das führt dann zur Erkenntnis.
  • Und wenn die erreicht und gesichert ist, geht man zum Ausgangspunkt zurück,
  • in der Erwartung, dass die Erkenntnis jetzt auch auf den eigentlichen Bereich angewendet wird.
  • Ein berühmtes Beispiel ist das Gespräch zwischen dem Propheten Nathan und König David aus dem Alten Testament, wo es wirklich darum geht, eine unangenehme Wahrheit an den (in diesem Falle mächtigen) Mann zu bringen.
    https://www.schnell-durchblicken.de/durchblick-auch-in-deutsch/fragen-und-antworten/parabel/
  • Interessant an diesem Gedicht von Brockes ist, dass ausdrücklich noch darauf hingewiesen wird, welche Funktion dieses Gleichnis hat, nämlich zu belehren.

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Wie wir, wenn wir geboren werden,

Den ganzen Zustand unsrer Erden

Schon sattsam zugerichtet finden;

  • Ausgangspunkt des Gedichtes ist ein Gedankenexperiment.
  • Was wäre eigentlich, wenn man bei der Geburt schon eine fertige und wohl auch gut eingerichtete Welt vorfinden würde.

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So werden wir, wenn wir erblassen,

Sie in demselben Zustand lassen:

  • Der zweite Teil des Gedankenexperiments richtet sich dann auf die Endstation menschlichen Lebens, nämlich den Tod.
  • Hier wird als Konsequenz der Ausgangssituation angesehen, dass man diese gut eingerichtete Welt genauso verlässt, wie man sie vorgefunden hat.

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Die Welt wird nicht einmal gewahr, dass wir verschwinden.

Wie hoch, wie nötig wir uns schätzen;

So finden sich, an unsrer Stelle,

(Recht wie im Wasser eine Welle,

Mit neuer Kraft, sich hebt und steigt,

So bald die erste sich zum Untergange neigt)

Doch immer neue gnug, die unsern Platz ersetzen.

  • Der Rest der ersten Strophe wendet sich dann der Frage zu, was das für die Bedeutung des Menschen bedeutet,
  • nämlich ein Nichts insofern, als der Mensch eben nichts zur Verbesserung dieser Welt beiträgt,
  • also kann man eigentlich auch auf ihn verzichten.
  • Das wird dann noch klargemacht am Beispiel einer Welle, die nach Meinung des lyrischen Ichs auch problemlos durch eine andere ersetzt werden kann, ohne Spuren zu hinterlassen.
  • Kritischer Kommentar
  • Dieses Bild überzeugt natürlich nicht ganz,
  • weil zum einen jede Welle,
  • vor allem, wenn es um ihre zerstörerische Gewalt geht,
  • ja auf dem Werk ihrer Vorgänger aufbaut.
  • Außerdem wird es sicherlich dann irgendwann eine Welle geben, die zum Beispiel ein Haus am abgenagten Ufer zum Einsturz bringt.
  • Aber das wenig überzeugende Wellenbild am Ende ändert natürlich nichts an der Grundkonstruktion und dem Ergebnis des Gedankenexperiments.
  • Halten wir also fest, dass das Gedicht von Brockes von zwei Voraussetzungen ausgeht.
  • Zum einen von einer perfekt eingerichteten Welt, die nicht mehr verändert werden muss.
  • Und zweitens von der damit verbundenen Untätigkeit bzw. Wirkungslosigkeit des Menschen.
  • Hier könnte man auf Kunert verweisen, der in einem Gedicht einen "Pfahl" in "die dahinschießenden Flut" einrammen will. .
  • Oder man denke an schöne Zitat von Albert Schweitzer, der eben gerade nicht eine Fürsorgewelt möchte, sondern eine, in der er sich bewähren kann und auch Spuren hinterlassen.
    https://www.albert-schweitzer-schule-ms.de/de/leitidee/albert-schweitzer/

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Wenn wir nun alles lassen müssen,

Warum sind wir denn nicht geflissen,

Den kurzen Durchgang einzurichten,

Im fröhlichen Gebrauch der Sinnen, nach den Pflichten,

Die der, so alles schuf, wenn man es nur bedenkt,

Uns in die Seelen engesenkt?

  • Mit den ersten Zeilen ist wohl gemeint, dass der Mensch sich fragen muss, wie er mit der Situation umgehen soll.
  • Erstaunlich ist hier, dass das lyrische Ich die Konsequenz daraus zieht, nicht einfach so vor sich hin zu leben, sondern den kurzen Durchgang des eigenen Lebens einzurichten, also zu gestalten.
  • Das Mittel dazu sind die Sinne des Menschen und das lyrische Ich ist sich sicher, dass man dabei Fröhlichkeit empfinden kann, sich also gut fühlt.
  • Der Schluss stellt dann einen großen Zusammenhang her zu dem Schöpfer, der die Menschen geschaffen hat und ihnen auch zugleich Pflichten in die Seele gesenkt hat.
  • Das wird nicht näher ausgeführt, dürfte sich aber wohl auf entsprechende Stellen in der Bibel beziehen, in etwa: "Macht euch die Erde untertan", was lange Zeit natürlich ein zivilisatorischer Auftrag war, bevor man an die Grenzen des wachstumsstieß.

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Ob wir nun, da wir also handeln,

Hier, wie wir wandeln sollten, wandeln,

Da wir den Wunder-Bau der Welt so wenig schätzen,

Darüber will ich dich jetzt selbst zum Richter setzen.

  • Nachdem noch einmal kurz der Kern des Zweit-Schöpfungsprogramm des Menschen skizziert worden ist,
  • wird in typisch aufklärerischer Manier das Urteil – zumindest scheinbar – dem Leser des Gedichtes überlassen.
  • Denn man darf nicht vergessen, es ist ein belehrendes Gleichnis und damit ist das Ergebnis natürlich schon als Appell vorgeprägt.
  • Man kann davon ausgehen, dass das lyrische Ich und der dahinter stehende Dichter sich einfach sicher ist, dass jemand, der einem klugen Gedanken und Darstellungsgang folgt, auch zum gleichen Ergebnis kommen wird. Das ist eine fast schon naturwissenschaftliche Betrachtung auch kultureller Prozesse und Urteile.

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Wenn einst ein grosser Herr, zu seiner Ehre,

Hätt' einen Palast aufgeführt,

Und dass derselbige mit aller Pracht geziert,

Und wunderschön von ihm geschmücket wäre,

Und er erlaubet' etwa Zween, [zwei Leuten]

  • Des Palasts Herrlichkeit zu sehen;
    Es folgt jetzt das eigentliche Gleichnis, bei dem die Welt mit einem schönen Palast verglichen wird.
  • Es geht dann um zwei unterschiedliche Besucher des Palastes.

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Der eine nun bewunderte die Pracht,

Vergnügte sich, er säh' bald vorwärts, bald zurück,

Es gäb', auf jeden Schritt, sein aufgeräumter Blick

Mit frohen Minen zu verstehn,

Wie er die Weisheit und die Macht

Des Herrn, der alles Wunder-schön

Geordnet und erbaut, nicht oft gnug zu erwägen,

Nicht gnug zu schätzen, zu verehren,

Noch zu erhöhen wüsst':

  • Der erste verhält sich offensichtlich ganz genau so, wie das lyrische Ich es vorher empfohlen hat.
  • Er betrachtet alles genau, preist die Schönheit und ist dabei vor allem fröhlich.
  • Besonders der letzte Aspekt ist natürlich ein deutliches Zeichen, weil hier zwei Abschnitte des Gedichtes eng miteinander verklammert werden.

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Der andere hingegen

Säh' immer unter sich; Pracht, Ordnung, Glanz und Schein

Mit allem Reiz, nähm' seinen Blick nicht ein,

Als den er bloß allein

Beschäftigt', um ein wenig Sand,

Der auf dem Boden glänzt, zu suchen, und die Hand,

Ihn aufzuheben, auszustrecken,

Und ihn bei Kleinigkeiten einzustecken,

Ob es ihm gleich nicht unbekannt,

Dass man, beim Ausgang, ihm von dieser seiner Bürde

Nicht das geringste lassen würde:

  • Der andere Besucher ist das Gegenbild, er durchläuft nur diesen Palast, so wie am Anfang die Grundsituation des Menschen geschildert wurde.
  • Der Unterschied ist aber der, dass er versucht, aus diesem Palast zumindest ein bisschen was mitzunehmen. Ganz offensichtlich handelt es sich letztlich um wertlose Dinge, die ihm trotzdem am Ausgang wieder abgenommen werden. Gemeint ist damit wohl der Tod, der ja auch schon in dem anfangsgedankenexperiment eine Rolle gespielt hat
  • Wichtig ist der Hinweis, dass dieser Besucher sich falsch verhalten da man eigentlich weiß, dass das unsinnig ist, was er tut, ein deutlicher Appell an die Nutzung des eigenen Verstandes und natürlich auch eine rhetorisches Mittel, das dazu führt, dass Menschen Abstand nehmen von einem solch dummen Verhalten.

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Sprich du nun selber, wessen Weise,

Den schönen Pallast durchzugehn,

Gereicht von beiden doch am meisten dem zum Preise,

Der ihn so herrlich auferbauet?

  • Am Ende wieder die Wendung an den mitdenkenden Leser und die Aufforderung, hier eine Beurteilung vorzunehmen. Dies ist natürlich wieder vorgeprägt.

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Auf denn, ihr Sterblichen, die ihr hier Wand'rer seid,

Erweget, was ihr tut! besinnet euch! beschauet,

Auf eurer Wanderschaft, mit Lust, die Herrlichkeit

Des Palasts dieser Welt! Lasst Sand und Erde liegen,

Und sucht das Würdigste, die Seele, zu vergnügen.

  • Am Ende dann der klare Appell mit der Verbindung der Ausgangssituation mit dem Gleichnis.
  • Ganz klar wird hier, dass man vor allen Dingen nachdenken soll über das, was man tut, man soll sich besinnen und dabei die Herrlichkeit der Welt immer im Auge behalten.
  • Hier erfolgt ganz eindeutig eine Gleichsetzung der Welt mit dem Palast und es wird auch noch einmal deutlich gemacht, was mit dem Sand gemeint war.
  • Am Ende steht noch einmal die Betonung des Vergnügens, mit Blick auf die Seele. Das innerste Zentrum des Menschen wird also hier auch ins Zentrum gestellt.


Das Gedicht zeigt:

  1. Den rationalen Charakter der Aufklärung,
  2. verbunden mit einem Erziehungsprogramm,
  3. dessen Blick vor allem auf die Schönheit der Natur richten soll.
  4. Inwieweit damit auch eine Veränderungsabsicht verbunden ist, bleibt offen.
  5. Das Gedankenexperiment am Anfang deutet allerdings an, dass es möglicherweise auch darum geht, in dieser Welt Spuren zu hinterlassen.
  6. Dafür spricht auch der Hinweis auf die eingegepflanzten Pflichten, von denen die Rede ist und die wohl mit dem Gestaltungsprogramm der Bibel zu verbinden sind.
  7. Im Übergang vom Barock zur Aufklärung spielen religiöse Bezüge eine große Rolle.
  8. Interessant ist die Hervorhebung des Vergnügens, das man auf diese Art und Weise im Leben haben kann, während man sich gleichzeitig richtig verhält.


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