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"Drachenwand" Radisch-Kritik

Anmerkungen zur Kritik von Iris Radisch an Arno Geigers Roman „Unter der Drachenwand“

  • Anmerkungen zur Kritik von Iris Radisch an Arno Geigers Roman „Unter der Drachenwand“ in „Stimmen des Krieges“, Die Zeit 03/2018
  • Textsorte:
  • Beitrag zur Literaturkritik,
  • also Information
  • und kritische Würdigung
  • eines zu dem Zeitpunkt der Veröffentlichung aktuellen literarischen Werkes.

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  • Zunächst wird verdeutlicht, was das Besondere an Geigers Roman ist, nämlich der Versuch, das Zeitgefühl von Menschen literarisch einzufangen. Positiv hingewiesen wird auf Kempowskis Echolot-Projekt, das eine Art „Museum des deutschen Innenlebens“ aus der Zeit des II. Weltkrieges hat entstehen lassen.
  • Besonders gelobt wird die sich bei der Beschäftigung damit ergebenden Erkenntnisse, wie man sich damals vor allem die Schrecken des Krieges vom Leibe gehalten hat.

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  • Dem wird Geigers Ansatz gegenübergestellt, bei dem die
  • "schriftlichen Nachlässe der Zeitzeugen stark nachbearbeitet, wenn nicht gänzlich erfunden" worden sind.
  • Das Ganze wird zusammenfassend beschrieben als "geniale Authentizitätsfiktion, aus der der Autor sich anschließend so spurlos wie möglich zurück gezogen hat."

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  • Anschließend werden die Figuren und ihre Beiträge zum Gesamtbild vorgestellt. Am Ende stellt Radisch fest,
  • "dass die deutschsprachigen Opfergruppen des vorletzten Kriegsjahres in dem Roman nahezu vollständig vertreten sind"
  • Leicht spöttisch handelt es sich um "lauter von Krieg und Verfolgung schwer verwundete Seelen, die ihren Nöten in sorgfältig redigierten Schriftstücken Luft machen."
  • Vor allem der Haupterzähler
  • schreibt für Radisch so "gekonnt neusachlich unprätentiös, als habe er in Wien ein Schreibseminar an der Schule für Dichtung besucht."
  • In diesem Zusammenhang ist von "überzuckerter Prosa"die Rede.

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  • Das wiederum wird
  • verglichen mit den Originalzeugnissen, die Kempowski zusammengetragen hat. Der dort zu finden "Schutt aus Witzelei und Schwuls2" ist in Geigers Roman nicht zu finden. D.h.: Geigers Roman ist nicht so authentisch wie die Sammlung von Kempowski.
  • Offensichtlich positiv wird gewürdigt, dass bei Geiger "der historische Sicherheitsabstand" verschwindet, der heutige Leser von den Erfahrungen älterer Generationen trennt.
    Damit ist anscheinend gemeint, dass Geigers Roman überhaupt eine gewisse Annäherung an das Schicksal früherer Generationen ermöglicht.
  • Positiv gewürdigt wird in diesem Zusammenhang Veit Kolbes Leiden an Panikattacken und die wohl als überzeugend erachtete Feststellung im Hinblick auf die Wiener Schulmädchen: "Wie weit die Verzerrung des eigenen Wesens schon vorangeschritten ist, merkt man, wenn man wieder unter normale Menschen kommt."

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  • Insgesamt
  • scheint Radisch diese Hauptfigur und ihre Verarbeitung der Erfahrungen doch als zu sehr literarisch überhöht einzuschätzen.
  • Anders sieht Ihr Urteil im Hinblick auf die Nebenfiguren aus, die seien "im Ton glaubhafter Naivität" präsentiert worden.
  • Hier sieht Radisch zumindest "eine Teilantwort auf die Frage nach dem seelischen Überleben in Zeiten des Krieges".
  • Damit nähert sich für Radisch der Roman zumindest anatzweise den Erkenntnissen an, die man bei Kempowskis Projekt gewinnen kann.
  • Am Ende versucht Radisch dann doch noch einen Schwachpunkt zu finden
  • und das ist für sie "die allzu einhellige Treuherzigkeit seines kriegsbeschädigten Erzählpersonals, das gegen NS Ideologie und Führerkult vollständig immun ist."
  • Was ihr fehlt, ist die "ungleich schwierigere Innenansicht der Täter".

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  • Dieser Einwand
  • ist für sie aber nicht "roman entscheidend".
  • Am Ende erkennt sie an:
  • "Arno Geiger ist ein zu erfahrener Autor, um es beim Wunschkonzert des literarisch Bekömmlichen und menschlich Erfreulichen zu belassen."
  • Als Beleg führt sie eine Stelle aus dem Schlussteil des Romans an, in der Veit bekennt, dass immer etwas in einem zurückbleibt, "mit dem man niemals fertig wird."

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  • Insgesamt ist diese Rezension sehr interessant und hilfreich, weil sie das Kernproblem anspricht, das mit Geigers Romankonstruktion verbunden ist.
  • Gerade die über Gegenüberstellung mit Kempowskis Ansatz macht deutlich, dass eine nachträgliche Redaktion von Originalbriefen und Tagebucheinträgen bis hin zum zusätzlichen Erfinden von Elementen
  • literarisch zwar erlaubt,
  • erkenntnismäßig aber doch von beschränktem Wert ist.
  • Man könnte auch sagen: Jeder Autor eines historischen Romans leistet etwas Ähnliches. Er hat sichere Quellen, präsentiert sie so, wie er sie für angemessen hält, und erfindet alles hinzu, was er sonst noch braucht und will. Das wird Geiger möglicherweise nicht ganz gerecht - aber das wäre dann genauer zu klären - etwa in einem Vergleich.
  • In der Beurteilung
  • bemüht Radisch sich dann aber doch, die literarische Leistung hervorzuheben,
  • den eingeschränkten Erkenntniswert hält sie für nicht so gravierend.
  • Hier hat man den Eindruck, dass sie Geiger geradezu in Schutz nimmt.

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  • Und damit ist man an dem Punkt, dass man sich fragt, ob das nicht doch ein größeres Problem ist, wenn der eigentliche Anspruch, ein früheres Zeitgefühl zu rekonstruieren, zu sehr mit nachträglicher Verarbeitung und Neukonstruktion verbunden ist.
  • Letzlich kommt man aber doch zu der Unterscheidung von Iris Radisch zurück,
  • dass das Literarische eben etwas Fiktionales ist
  • und deshalb auch einen Anspruch erheben darf, den es in der Sache nicht einlöst.
  • Und es ist wohl von einem Schriftsteller zu viel verlangt, wenn man sich wünscht, er möge doch tiefere Einblicke gewähren in seine Verarbeitung der Originalquellen.


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