An die Erwählte
- Der Titel ist etwas ungewöhnlich, denn es ist wohl so etwas gemeint wie: An die geliebte.
- Statt aber ein Gefühl dieser Art auszudrücken, geht es um das Ergebnis und Objekt einer Entscheidung, in diesem Fall wohl einer Partnerwahl.
- Hier könnte sich die kritische Frage anschließen, wie es wohl mit den Gefühlen des Objekts einer solchen Entscheidung aussieht, das vielleicht lieber auch seinen Anteil daran hätte.
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Hand in Hand! und Lipp auf Lippe!
- In der ersten Verszeile beschreibt das lyrische Ich zwei Situationen, die zu einer engen Beziehung gehören, nämlich das Hand-in-HandGehen und das Küssen.
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Liebes Mädchen, bleibe treu!
- Die zweite Zeile verbindet dann die Erwählte doch mit so etwas wie Liebe,
- das kann aber auch eher eine Floskel sein.
- Etwas verwunderlich ist, dass das lyrische Ich als erstes der Erwählten mit einer Forderung kommt, nämlich treu zu sein.
- Da drängt sich für den Leser natürlich die Frage auf, ob das lyrische Ich (wir gehen für die Goethezeit von einem Mann aus) im folgenden denn jetzt auch Voraussetzungen für diese Aufforderung nennt, nämlich einen eigenen Beitrag zu dieser Beziehung.
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Lebe wohl! und manche Klippe
Fährt dein Liebster noch vorbei;
Aber wenn er einst den Hafen,
Nach dem Sturme, wieder grüßt,
Mögen ihn die Götter strafen,
Wenn er ohne dich genießt.
- In der zweiten Strophe geht das lyrische Ich tatsächlich dann auf seine Situation und Perspektiven ein.
- Es muss sich von der Erwählten trennen und hat noch manche Klippe vor sich - also Herausforderungen, vielleicht auch Gefahren.
- Dann aber entwirft das lyrische Ich ein Zukunftsbild einer Rückkehr, bei der er die Strafe der Götter zu Hilfe nimmt für den Fall, dass es nicht selbst so treu ist, wie es von der Erwählten verlangt wird.
- Interessant ist auch, dass das lyrische Ich hier für den Zeitpunkt der Rückkehr einen Begriff wählt, der einen langen Zeitraum andeutet ("einst"). Das klingt schon kurz nach Tod und Ewigkeit und ist sicher nicht das, was die Erwählte hören oder lesen möchte.
- Vor diesem Hintergrund kann man wohl ein Zwischenfazit ziehen, dass dieses Gedicht wohl eher eine Situation und Haltung verkörpert, bei der jemand etwas für sich festhalten und ansonsten seiner Wege gehen will.
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Frisch gewagt ist schon gewonnen,
Halb ist schon mein Werk vollbracht!
Sterne leuchten mir wie Sonnen,
Nur dem Feigen ist es Nacht.
- In den ersten vier Verszeilen in der nächsten Strophe thematisiert das lyrische Ich vor allem seinen Mut, sein Engagement
- und zumindest einen Teilerfolg dessen, was es sich vorgenommen hat.
- Der Hinweis auf die Sterne soll wohl deutlich machen, dass der Sprecher auch nachts aktiv ist und auch den dafür nötigen Mut aufbringt.
- Wenn man Lust hätte auf eine Veränderung dieses Gedichtes, könnte man sich gut vorstellen, dass das lyrische Ich die Nächte für ganz andere Dinge nutzt, als die Erwählte sich wünschen kann. Aber das ist natürlich weither geholt und liegt wohl nicht in der Absicht des Sprechers.
Wär ich müßig dir zur Seite,
Drückte noch der Kummer mich;
Doch in aller dieser Weite
Wirk ich rasch und nur für dich.
- Die zweite Hälfte der Strophe setzt noch einen seltsamen Akzent drauf. Offensichtlich geht es dem lyrischen Ich in erster Linie um Betriebsamkeit, ein einfaches Dasein bei der Erwählten wäre für den Sprecher eher ein Anlass von Kummer.
- Oder aber man versteht es sogar so, dass es bei der Erwählten Kummer gab und der jetzt woanders durch Aktivität betäubt werden soll.
- Am Ende dann etwas, was hier sehr allgemein bleibt und nur behauptet wird, dass nämlich in der Ferne nicht nur Müßiggang und Kummer vermieden werden, sondern angeblich auch für die Erwählte noch etwas getan wird.
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Schon ist mir das Tal gefunden,
Wo wir einst zusammen gehn
Und den Strom in Abendstunden
Sanft hinunter gleiten sehn.
- Die letzte Strophe lüftet nun endlich das Geheimnis:
- Offensichtlich ist das lyrische Ich auf der Suche nach einem Ort, an dem es mit der Erwählten zusammen leben will und kann.
- Verbunden wird das mit der Vorstellung von einer Lage an einem Strom, also einem großen Fluss, den man dann auch gemeinsam für sich zur Erholung nutzen kann.
Diese Pappeln auf den Wiesen,
Diese Buchen in dem Hain!
Ach, und hinter allen diesen
Wird doch auch ein Hüttchen sein.
- Der letzte Teil des Gedichtes beschreibt dann etwas näher die Umgebung und deutet an, dass dort zumindest Platz für eine kleine Hütte sein wird.
- Warum das lyrische Ich das bereits als ausreichende Lebensbasis sieht, wird genauso wenig geklärt wie die Frage, warum die Erwählte nicht auch beim Wählen des Ortes mit dabei sein darf oder kann.
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Fazit - Aussage - Intentionalität
- Insgesamt ein Gedicht, das entsprechend der Zeit der Entstehung Frauen wohl eher als Objekt des eigenen Tuns sieht und sich ansonsten damit begnügt, der Erwählten vor allem die eigene Tüchtigkeit und die Erfolge bei der Vorbereitung einer gemeinsamen Zukunft zu beschreiben.
- Dieses Gedicht schreit gerade dazu, aus heutiger Sicht, einen Gegenakzent zu setzen. Man könnte sich auch vorstellen, dass man die Erwählte, die vielleicht selbstständiger ist, als das lyrische Ich es sich erträumen lässt, selbst in einem Gegengedicht die eigene Sicht der Dinge darstellt.
- Wer sich ein bisschen beim Herrn von Goethe und seinem Umgang mit Frauen auskennt, wird hier sicher an das Gedicht "Willkommen und Abschied" erinnert oder aber an Goethes nächtlichen Aufbruch nach Italien, der seine damalige Geliebte, die Frau von Stein, ziemlich traurig oder auch empört zurückließ.